Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Insel der Krieger

Die Insel der Krieger

Titel: Die Insel der Krieger
Autoren: Christina Manz
Vom Netzwerk:
Licht. Trotz des Leuchtens erkannte Nalig, dass die kleinere Gestalt die eines Menschen war. Sie ging um die Pranke des Löwen herum und als sie direkt neben Nalig stand, konnte er ein langes, weißes Kleid mit weiten Ärmeln und schulterla n ges, lockiges Haar erkennen. »Sei gegrüßt, Nalig! Wir haben dich b e reits erwartet. Ich bin Kaya, die Göttin dieser Insel«, hörte der Junge eine Frauenstimme sagen. Dann verschwamm die Welt vor seinen Augen und Nalig spürte, wie ihn tiefer Schlaf übermannte.
    Als er erwachte, war Nalig sicher, nicht lange geschlafen zu haben. Denn obgleich er sich sonderbar ruhig und gestärkt fühlte, ließen die Anstrengungen seines Todeskampfes in den Wellen seine Glieder noch immer zittern. Ratlos begutachtete der Junge den Raum, in dem er sich befand. Er übertraf an Größe und Pracht alles, was Nalig j e mals gesehen hatte. Die zwanzig Fuß hohen Wände waren detailreich und farbenprächtig bis in den letzten Winkel bemalt. Ebenso die D e cke, die von Säulen aus Marmor gestützt wurde. Es befanden sich erstaunlich wenig Möbelstücke in dieser Halle, wenn man bedachte, was man alles darin hätte unterbringen können. Ein einzelnes Regal war aus dunklem Holz gefertigt und mit kunstvollen Schnitzereien verziert. Die Sitzmöbel waren gepolstert und farblich den dunkelroten Teppichen angepasst, die dick und weich den Boden der gesamten Halle bedeckten. Das Licht, das durch die hohen Fenster fiel, war gedämpft und ließ darauf schließen, dass die dunklen Wolken noch immer am Himmel standen oder die Nacht hereinzubrechen drohte. Während Nalig sich noch staunend umsah, beschlich ihn das Gefühl, nicht alleine zu sein. Er ließ den Blick schweifen und bemerkte, dass auf der gegenüberliegenden Seite des Saals, also gut dreißig Schritte von ihm entfernt, ein Löwe auf einem lehnenlosen Sessel lag – wie auf einem Thron. Die Tatsache, dass sich das Tier nicht bewegte, von tiefen Atemzügen abgesehen, war wohl der Grund, weshalb es Nalig nicht schon früher aufgefallen war. Bemerkenswert war, dass das Fell sowie die üppige Mähne des Löwen weiß waren. Sogleich fiel Nalig die Erscheinung am See ein. Doch konnte es sich unmöglich um dasselbe Tier handeln. Denn während jenes am See ihn ohne Mühe unter seiner Pranke hätte zerquetschen können, hatte dieses die Größe eines g e wöhnlichen Löwen – zumindest soweit Nalig dies beurteilen konnte, denn viele Löwen traf man nicht in Eda. Dennoch war die Ähnlichkeit erstaunlich. Auch war dem Jungen sofort klar, dass er auch gegen dieses Tier, im Falle eines Angriffs, nichts würde ausrichten können. Daher begann er, den Raum nach einem Fluchtweg abzusuchen. Zu seiner Rechten befand sich eine Tür oder eher ein Portal, das groß genug war, um einer Kutsche Durchfahrt zu gewähren. Doch leider war es geschlossen und Nalig war nicht sicher, ob es ohne einen Schlüssel zu öffnen war. Außerdem befand es sich genau auf halber Höhe zwischen ihm und dem Löwen, sodass er und die Raubkatze denselben Weg hatten. Es brauchte keinen Gelehrten, um zu erraten, wer von beiden schneller wäre. Einen Versuch jedoch war es wert, beschloss Nalig. Denn wenn er bedachte, dass er am Morgen geglaubt hatte, zu diesem Zeitpunkt bereits tot zu sein, verspürte er keine große Lust, diese wundervoll lebendigen Augenblicke zu vergeuden, indem er hier blieb und darauf wartete, dass das Raubtier vom Hunger g e packt wurde. Nalig musterte das Tier ganz genau. Zwar hatte es den Blick eindeutig auf ihn gerichtet, doch der große Kopf ruhte auf den Vorderpfoten und der Schwanz mit dem weißen Haarbüschel am Ende hing träge auf den Boden herab. Letztlich, so befand Nalig, sah die große Katze also nicht danach aus, als wolle sie im nächsten M o ment aufspringen und sich auf ihn stürzen. Langsam erhob er sich von der gepolsterten Liege, auf der er geschlafen hatte. Im selben Auge n blick hob der Löwe den Kopf. Unschlüssig blickte Nalig zwischen ihm und der Tür hin und her. Was machte ihn eigentlich so sicher, dass es jenseits dieser Tür sicherer war? Womöglich wartete dort Schlimmeres auf ihn. »Ich werde es sicher nicht herausfinden, wenn ich es nicht wenigstens versuche«, dachte Nalig bei sich und machte behutsam einen Schritt auf die Tür zu. Der Löwe beobachtete ihn noch immer. Der Teppich dämpfte das Geräusch von Naligs Schritten, während er langsam auf das Portal zuschlich, stets gefolgt von wachsamen Rau b tieraugen. Als Nalig schon die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher