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Die Insel der Krieger

Die Insel der Krieger

Titel: Die Insel der Krieger
Autoren: Christina Manz
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Hälfte des Weges geschafft hatte und sich zu fragen begann, ob er es wagen sollte zu rennen, da schüttelte der Löwe den massigen Kopf und gähnte ausgiebig, wobei er zwei Reihen scharfer Zähne entblößte. Der Junge blieb sofort stehen und rührte sich nicht mehr. »Wenn er dich hätte fressen wollen, dann hätte er es sicher schon vorhin am See getan«, versicherte eine Stimme so dicht hinter Nalig, dass der Junge vor Schreck einen kleinen Hüpfer machte. »Und hätte ich dich fressen wollen, dann hätte ich es auch schon vorhin am See getan«, erklärte die Urheberin der Stimme. Nalig erkannte sie sofort als die Frau, die ihn auf der Insel willkommen geheißen hatte. Von dem mystischen weißen Leuchten war nichts geblieben. Nalig erkannte das Kleid und das lockige Haar wieder, das, wie er nun sah, ebenso weiß war wie die Mähne des Löwen. Zusa m men mit den durchdringenden, hellblauen Augen vermittelte ihre Erscheinung etwas, das Nalig an Schnee und kalte Wintertage denken ließ. Hinter ihr entdeckte er die Tür, durch die sie gekommen war. Sie stand noch einen Spalt breit offen und war ebenso bemalt wie die übrige Wand, sodass sie sich vollkommen in das Bild fügte, wenn sie geschlossen war. Der Löwe erhob sich von seinem Schlafplatz, sprang für ein so großes Tier äußerst elegant auf den Teppich und reckte sich, indem er die Vorderpfoten ausstreckte und flach auf den Boden pres s te, während er den Rücken durchdrückte. Im Grunde genauso, wie es die Katzen auf dem Hof von Naligs Vater taten, die im Heuspeicher Jagd auf Ratten machten. Nur dass es bei ihnen weit weniger ei n drucksvoll war. Der Löwe stapfte über den Teppich zu der Frau im weißen Kleid und setzte sich neben sie. »Das ist Kartax«, stellte jene ihren Begleiter vor. Ihre Stimme klang weise und anmutig und Nalig hatte Mühe zu erraten, wie alt sie sein mochte. Ihr Gesicht war weder jung noch alt. »Wer seid Ihr? « , fragte Nalig argwöhnisch. »Mein Name ist Kaya und ich bin die Göttin dieser Insel. Aber sagte ich das nicht bereits? « Kaya legte eine Hand auf den Kopf des Löwen. Diese Erkl ä rung versetzte Nalig in Erstaunen. »Aber ich dachte, er sei es«, erw i derte er und deutete auf den Löwen. »Kartax? « Kaya winkte ab und lächelte. »Nein, keineswegs. « »In meinem Dorf erzählt man sich seit Jahrhunderten, dass eine Göttin in Gestalt eines Löwen auf dieser Insel lebt und unser Königreich beschützt«, beharrte Nalig und mu s terte die angebliche Göttin eingehend. Ihr weißes Haar war sonderbar und ein Kleid wie ihres hatte er bei keiner Frau in Serefil je gesehen. Doch er konnte nichts Göttliches an ihr finden. Kaya zog die Brauen hoch. »Eine Göttin in Gestalt eines Löwen? Ist dir klar, welch einen Unsinn du da redest? « Nalig wurde zornig. Er mochte es nicht, wenn man sich über ihn lustig machte und noch viel weniger, wenn jemand die Überzeugungen seines Volkes verspottete. »Und für wen bringen wir dann unsere Opfer? « , fragte er. Kaya machte nicht den Eindruck, als gehörten junge Männer zu ihren bevorzugten Speisen. Sie wurde nun ernster. »Mir ist bekannt, dass sich in Serefil das Gerücht hält, dass diejenigen, die ich auswähle, auf diese Insel zu kommen, ein schreckl i ches Schicksal ereilt. Wie dieser Mythos einst entstand, ist mir alle r dings ein Rätsel. « Nalig gab sich keine Mühe, sein Misstrauen zu ve r bergen. »Aber keiner von ihnen ist je zurückgekehrt. « »Das wiederum ist nicht meine Schuld. « Die Stimme der Göttin klang nun scharf und zum ersten Mal jagte sie Nalig Angst ein. Nahezu greifbar umgab sie plötzlich eine enorme Kraft, die Nalig ihr wahres göttliches Wesen erahnen ließ. »Ich zwinge niemanden, hier zu sein«, erklärte sie mit solchem Nachdruck, dass Kartax beschwichtigend gegen ihren Ellb o gen stieß. »Nun, wenn das so ist, dann spricht wohl nichts dagegen, dass ich in mein Dorf zurückkehre«, stellte Nalig fest und wandte sich zum Portal um. Er fragte sich, ob Kaya ihn aufhalten würde. Sie tat nichts dergleichen, bis der Junge die Tür erreicht hatte. »Natürlich steht es dir frei zu gehen. Vorausgesetzt, es ist dir völlig gleichgültig, was mit deinem Dorf geschieht. «

Die Insel der Krieger
    N alig ließ die Hand sinken, die er zur Klinke erhoben hatte. Er wandte sich der Göttin zu, die noch immer an derselben Stelle stand. »Was wollt Ihr von mir? « Das Gefühl, erpresst zu werden, lähmte und e r zürnte ihn gleichermaßen. Wenn die Göttin ihn
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