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Die Hurenkönigin und der Venusorden

Die Hurenkönigin und der Venusorden

Titel: Die Hurenkönigin und der Venusorden
Autoren: Ursula Neeb
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tun sollte. Vielleicht konnte sie, sobald Irene im Zimmer verschwunden war, zur Polizeiwache eilen?
    Sie hat mich am Fenster gesehen und weiß, dass ich in dem Zimmer war. Wenn sie merkt, dass ich ihre Sachen durchsucht und das Kleid entdeckt habe, bin ich meines Lebens nicht mehr sicher. Sie wird mir unterwegs auflauern und versuchen, mich zu töten! Da bin ich hier sicherer. Sie weiß ja nicht, dass ich allein im Haus bin.
    Auf unsicheren Beinen stieg sie hinter Irene die Treppe hinauf und rief hinter ihr her: »Wenn noch etwas ist, ich bin auf meinem Zimmer.«
    Sobald Ursel in ihrer Kammer war, verriegelte sie die Tür und ließ sich keuchend auf dem Bettrand nieder. Als sie aus dem Nachbarzimmer ein lautes Scheppern vernahm, fuhr sie heftig zusammen, hastete zum Ofen und packte den Schürhaken.
    Sie redete sich selbst beruhigend zu: Sie wird mir schon nicht die Tür einrennen! Doch mit der Waffe in der Hand fühlte sie sich sicherer.
    Ursel hielt den Atem an und lauschte angespannt in die Stille. Ihr war, als hätte sie vom Flur her ein Geräusch gehört. Ein leises Dielenknacken, so, als schleiche jemand vor ihrer Tür herum. Der Hurenkönigin sträubten sich sämtliche Nackenhaare. Da war es wieder! Was hat sie nur vor, diese Bestie?
    Gleich darauf wurde nebenan die Zimmertür geschlossen, und von der Treppe her erklangen laute Schrittgeräusche.
    Sie geht, dachte Ursel erleichtert und vernahm auch schon das Zuklappen der Eingangstür.
    Sie trat ans Fenster und spähte vorsichtig hinaus. In der Dunkelheit gewahrte sie Irenes schlanke Gestalt, die sich in Richtung der Alten Mainzer Gasse entfernte. Die Hurenkönigin stieß vernehmlich den Atem aus und wischte sich mit fahriger Hand die Schweißtropfen von der Stirn. Ihr Blick folgte Irenes Silhouette, bis sie in der Finsternis verschwunden war.
    Sie würde noch ein paar Minuten warten und sich dann auf den Weg zum Leinwandhaus machen.
    Ursel nahm ihren grauen Kapuzenumhang vom Kleiderhaken und legte ihn um. Eine Weile lang lief sie erregt im Zimmer auf und ab, bis sie es vor Anspannung nicht mehr aushielt und zur Tür eilte.
    Als sie auf den düsteren Flur hinaustrat und von außen die Tür schließen wollte, glitschte ihr die Klinke aus der Hand. Ursel fuhr sich verstört über die Handfläche. Ist das Schweiß?, überlegte sie, denn vor Aufregung wurde sie immer wieder von Hitzewallungen geplagt. Doch der Belag auf ihrer Handfläche fühlte sich anders an. Er war schmierig. Ursel strich mit den Fingerkuppen über die Türklinke. Es kam ihr so vor, als wäre sie eingefettet worden. Seltsam, grübelte sie und wischte sich angewidert die Handfläche an der Innenseite des Capes ab.
    Als Ursel aus der Tür des Frauenhauses kam, umfingen sie auf einmal dichte Nebelschwaden. Sie schluckte krampfhaft. Ihr Mund und die Kehle waren wie ausgetrocknet. Sie hastete die Alte Mainzer Gasse entlang, und ihre Schritte hörten sich durch den dichten Nebel seltsam gedämpft an. Fast hatte sie das Gefühl, über dem Boden zu schweben.
    Ihr Herz schlug immer schneller, es dröhnte ihr in den Ohren. Wurde sie verfolgt? Ihr war auf einmal, als müsste sie vor irgendjemandem, irgendetwas davonrennen. Irene! , schrie es in ihr. Sie folgt mir … Die Hurenkönigin begann zu rennen.
    Bald hatte Ursel jegliche Orientierung verloren und irrte panisch durch die engen, finsteren Gassen. Ständig drehte sie sich nach der vermeintlichen Verfolgerin um. Doch wenn sie kurz stehenblieb und sich mit schreckensgeweiteten Augen nach ihr umdrehte, waren da nur die Nebelschwaden, die ihr wie dichte Spinnweben die Sicht nahmen.
    Unversehens beschlichen die Hurenkönigin beklemmende Angstzustände, die sich zu aberwitzigen Wahnvorstellungen steigerten. Das Gassenpflaster bäumte sich in hohen Wellen vor ihr auf, die sie zu verschlingen drohten. Auch die Häuserfassaden an den Seiten rückten immer mehr zusammen, und Ursel hatte das beklemmende Gefühl, von ihnen erdrückt zu werden. Die Menschen, die ihr in dem schmalen Durchgang entgegenkamen, sahen aus wie grässliche Höllengestalten – und ähnelten allesamt Irene. Mit dem letzten Rest an klarem Verstand ahnte sie, dass Irene sie vergiftet hatte.
    »Hilfe!«, schrie Ursel gellend.
    Mit Entsetzen musste sie jedoch erkennen, dass sie keine Stimme mehr hatte. Sie schrie immer verzweifelter, doch es war kein Laut zu vernehmen. Um sie herum herrschte nichts als Totenstille.
    Entkräftet sank Ursel zu Boden. »Große Mutter, steh mir bei«, flehte sie
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