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Die Hure Und Der Moench

Die Hure Und Der Moench

Titel: Die Hure Und Der Moench
Autoren: Christa S. Lotz
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Wirt. »Der nächste liegt am Ortsrand, nach Westen zu. Er gehört der Gemeinde. Früher habe ich selbst meinen Wein darin gelagert. Aber jetzt habe ich einen eigenen Weinberg. Ich glaube, zur Zeit nutzt ihn nur noch einer für ein paar uralte Fässer …«
    Francesco dankte ihm und ließ sein Pferd beim Gasthaus zurück, um sich geräuschlos bewegen zu können. Die Gassen waren nur spärlich mit Kohlepfannen erleuchtet. In westlicher Richtung, hatte der Wirt gesagt. Francesco erreichte eine Gruppe von Bauernhäusern, die am Ortsrand standen. Alles war dunkel. Er stand still und horchte angestrengt in die Nacht hinaus. Kein Laut war zu vernehmen. Doch da … es war, als hätte eine Tür gequietscht und würde wieder geschlossen. Francesco hörte, wie ein schwerer Gegenstand über den Boden geschleift wurde. Er rannte los. Eine dunkle Gestalt war dabei, den Gegenstand auf einen Pferdekarren zu wuchten. Die Gestalt drehte sich zu ihm um, gab einen erstickten Laut von sich und schwang sich auf den Karren. Francesco schlich sich bis zur Tür des Weinkellers vor. Er hörte, wie sich das Hufgetrappel entfernte. Francesco nahm einen Anlauf und warf sich gegen die Tür. Holz krachte, doch die Tür hielt stand. Wieder und wieder warf er sich dagegen. Endlich splitterte das Holz, und der Eingang lag offen vor ihm. Im Schein einer Öllampe sah er Angelina zusammengekrümmt am Boden liegen. In einer Ecke lehnte das Bild. Francesco kniete neben Angelina nieder und sah, dass sie die Augen geöffnet hatte. Er strich ihr über die Haare.
    »Du brauchst keine Angst mehr zu haben«, sagte er und begann, ihre Fesseln zu lösen, die sich tief ins Fleisch eingeschnitten hatten. Sie blickte befremdet zu ihm auf.
    »Was willst du?«, fragte sie. In ihren Augen lag ein höhnischer Ausdruck.
    »Ich will dich retten, Angelina, dich aus den Klauen dieses Teufels befreien!«
    |422| »Oh ja, er ist ein Teufel.« Sie lachte. »Aber ich bin ein Teil von ihm. Er ist mein Geliebter, bei ihm will ich bleiben, mit ihm will ich ausfahren, tanzen, essen, trinken, buhlen …«
    War Angelina verrückt geworden?
    »Du kommst jetzt mit mir«, befahl Francesco. »Du bist keine Hexe, Domenian hat dich das nur glauben gemacht!«
    Ihr Blick war glasig, sie schien ihn nicht zu hören. Er schüttelte sie, doch es half alles nichts. Er versetzte ihr eine schallende Ohrfeige. »Angelina, komm zu dir!«
    Sie riss die Augen auf, als würde sie ihn jetzt erst erkennen. Francesco hatte sie inzwischen mit seinem Messer von ihren Fesseln befreit.
    »Beeile dich, er kann jeden Augenblick zurückkommen«, sagte er.
    »Er hat Tomasio … umgebracht«, stammelte Angelina.
    »Ich weiß«, meinte Francesco und blickte zu seinem Bild. Er fasste nach ihrer Hand, um ihr aufzuhelfen.
    Ihre Augen wurden groß, ihr Mund öffnete sich zu einem Schrei. Im selben Moment erhielt Francesco einen gewaltigen Schlag auf den Kopf, so dass er vornüber sackte. Nicht schon wieder!, dachte er. Es wurde dunkel um ihn. Als er mit brummendem Schädel erwachte, bemerkte er, dass er an Händen und Füßen gefesselt und allein in dem Keller war. Durch die Tür drang Rauch, so dass er husten musste.

|423| 54.
    Angelina lag unter einer Decke auf einem Wagen, der auf einem holprigen Weg rumpelte. Alles tat ihr weh, ihre Glieder waren zerschunden. Dicht neben ihr befand sich ein großer, länglicher Gegenstand, der sich kalt und feucht anfühlte wie ein nasser Sack. Mit Schrecken wurde ihr bewusst, dass es der Leichnam Tomasios war. Es musste schon gegen Morgen gehen, denn sie hörte die Vögel zwitschern. Daneben vernahm sie ein Kirchenlied, das ein Mann mit brüchiger Stimme sang.
Media vita in morte sumus
. Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen. Was war geschehen?
    Domenian war zurückgekommen, hatte Francesco niedergeschlagen und sie zum Wagen gezerrt. Warum hatte er Francesco nicht getötet? Eine grauenhafte Ahnung stieg in ihr auf. Ob es Savonarola und seinen beiden Brüdern auch so ergangen war, als sie zur Richtstätte geführt wurden? Angelina roch das taufeuchte Gras, aber darüber schob sich der Geruch nach verbranntem Fleisch. Würde Domenian sie bei lebendigem Leib verbrennen? Oder würde er sie erst hängen, wie es bei Savonarolas Hinrichtung und seinem Bruder der Fall gewesen war? Wohin brachte er sie? Angelina schob mit ihren wieder gefesselten Händen die Decke von ihrem Kopf. Sie fuhren durch die Weinberge. Vor sich auf dem Kutschbock sah sie den schwarzen Rücken Domenians, die
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