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Die Hüter der Nacht

Titel: Die Hüter der Nacht
Autoren: Jon Land
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großartiger Schüler Michael gewesen ist? Steht da drin, dass er ein Semester auf einer Gemeinschaftsschule für Israelis und Palästinenser außerhalb Jerusalems in Abu Gosh verbracht hat? Dass amerikanische Universitäten ihm Briefe geschickt haben, dass er sich bei ihnen einschreibt, weil er ein hervorragender Sportler war? Ich wollte nicht, dass er in die Vereinigten Staaten ging, weil er dann näher bei seinem Vater gewesen wäre als bei mir. Steht das alles in dieser Akte?«
    Danielle erinnerte sich an ihr vorbereitendes Studium der Akte über Michael Saltzman. »Da wird ein Zwischenfall erwähnt, der die Freundin Ihres Sohnes betraf«, sagte sie und stellte sich vor, achtzehn Jahre lang in einer Welt von abgestandenem Kaffee und gezwungenem Lächeln leben zu müssen.
    Layla Saltzman nickte. »Ja, ein Mädchen namens Beth Jacober aus Tel Aviv. Sie hatten eine Beziehung. Wie eng diese Beziehung war, weiß ich nicht, wenn Sie verstehen, was ich meine.« Ihre Stimme brach. »Michael hatte Beth auf seiner neuen Schule kennen gelernt, der israelisch-palästinensischen Gemeinschaftsschule. Sie kam bei einem Autounfall ums Leben, eine Woche bevor er …«
    »Mrs. Saltzman, Sie brauchen nicht darüber …«
    »Jeder denkt, Michael hat es getan, weil er wegen Beth Depressionen hatte. Vielleicht hatten die beiden ein engeres Verhältnis, als ich dachte. Wer kann das heutzutage bei den jungen Leuten sagen?« Sie ballte die Hände zu Fäusten und legte sie in den Schoß. »Ich … ich bin nicht mit ihm zu Beths Beerdigung gegangen; er wollte es nicht. Michael war nicht depressiv. Er war mit Beths Tod fertig geworden, hatte sich damit abgefunden.« Sie zeigte wieder die Uhr ihres Sohnes. »Sie geht nicht mehr, aber ich trage sie immer noch.«
    Danielle schaute auf Michael Saltzmans Uhr, auf die Fotos auf dem Tisch, die eine Familie zeigten, die niemals mehr zusammen sein würde, die keine Chance mehr hatte.
    Ist das die Art Leben, die ich für mich und mein Kind wünsche?, dachte sie.
    Danielle blätterte noch einmal in der Akte und fand die Fotos vom Tatort und den Bericht der Ermittler. Sie betrachtete eingehend das Foto, das die 9-mm-Pistole in der Hand des toten Jungen zeigte.
    »Er trug die Uhr nicht, als er starb«, sagte sie nachdenklich.
    Layla Saltzman bestätigte es mit einem Nicken. »Nein. Sie lag in seiner Frisierkommode. Ich vergaß, sie ihm für die Beerdigung ums Handgelenk zu binden, und als ich dann nach Hause kam, warf ich sie durchs Zimmer. Dabei ging das Glas kaputt.« Ein Ausdruck, der an Heiterkeit grenzte, huschte über ihr Gesicht. »Niemand hat mich zuvor danach gefragt.«
    In Danielle erwachte neue Aufmerksamkeit, als sie etwas erkannte, das anscheinend niemandem aufgefallen war. Sie betrachtete wieder die Fotos auf dem Couchtisch, schaute von dem Bild, das Michael zeigte, wie er seine Eltern umarmte, zu der Aufnahme des Jungen, der zum Aufschlag einen Tennisball in die Luft warf. Sie konzentrierte sich darauf, wie er seinen Schläger hielt, um in weitem Bogen auszuholen.
    »Stimmt etwas nicht, Chief Inspector?«, fragte Layla Saltzman.
    »Nein«, sagte Danielle, denn ihr war klar, dass es keinen Sinn hatte, der Frau schon etwas zu sagen, bevor sie sich ihrer Sache nicht völlig sicher war. »Alles in Ordnung.«

2.
    »Kommando an Posten eins«, sprach Ben Kamal in sein Walkie-Talkie und ignorierte das Warnlämpchen, das anzeigte, dass die Batterie fast leer war.
    »Posten eins, Kommando.«
    »Haben Sie noch Sicht auf das Subjekt?«
    »Habe ich, Kommando. Er sitzt noch auf seinem Platz in der ersten Reihe. Hat sich nicht von der Stelle gerührt.«
    »Verstanden«, erwiderte Ben und wischte sich Schweiß von der Stirn. Er nahm an, dass es an die 40° Celsius in Jerichos nagelneuem Fußballstadion war, das sich in einem Tal zwischen Elisha's Spring und dem Ein-as-Sultan-Flüchtlingslager befand. Eines Tages würde dieses Stadion die gut belüftete Heimat von Souvenir- und Erfrischungsständen sein, die zur gleichen Zeit hätten fertig sein sollen, als der Bau des Stadions vollendet wurde. Doch das Ende des Friedensprozesses hatte zum abrupten Stopp der Bauarbeiten geführt, und die palästinensischen Arbeiter hatten ihre Werkzeuge liegen gelassen, um sich mit Steinen, Schleudern und zunehmend auch mit Feuerwaffen zu bestücken.
    Ringsum hörte Ben einen Jubelschrei aus ungezählten Kehlen, der von den Wänden hallte. Es war nicht der Jubel über das Siegtor; dann wäre der Lärm noch größer
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