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Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis

Titel: Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis
Autoren: Thea Dorn
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starr und kalt vom Couchtisch abstand. Die Sektgläser in ihrer Hand zersplitterten. Er sollte sie nicht mehr anfassen. Nie wieder sollte er sie anfassen...
    Hasserfüllt schleuderte sie die Glasscherben zu Boden. Ein feiner Blutregen spritzte von ihren zerschnittenen Handflächen.
    Du Schwein. Du verdammtes Schwein.
    Sie trat nach der Hand, die knapp über dem Seidenteppich in der Luft hing.
    Schwein. Schwein. Schwein.
    Sie drehte sich um, holte mit ihrer blutenden Hand aus, nie hatte sie ihn geschlagen, natürlich nicht, immer nur er, er, er; er konnte ja machen, was er wollte, mit ihr, mit -
    Alles, was ihre Hand traf, war das rohe Chaos, das aus seinem offenen Hemdkragen quoll.
    Die letzten Reste Hühnersuppe und Feldsalat, die sie in einer anderen Welt einmal gegessen hatte, klatschten auf seine Brust.
    Erika Konrad schlug die Hände vor den Mund und taumelte noch immer würgend rückwärts.
    Was hatte sie getan? Oh Gott, was hatte sie getan?
    Ihr Mann war tot. Bestialisch dahingeschlachtet. Der
Mann, mit dem sie achtundzwanzig Jahre lang verheiratet war. Der Mann, der der Vater ihrer einzigen Tochter war.
    Mörder! Mörder!
    Sie stürzte los, knickte um, rappelte sich wieder auf und fasste nach dem Telefon. Null - Eins - Sie wischte sich mit ihrer blutigen Hand übers Gesicht. Eins - Null - Nein - Eins - Eins - Ihre Finger zitterten so, dass sie immer wieder neu beginnen musste. Der Hörer fiel ihr aus der Hand.
    Sie bückte sich. Und gefror. Da, wo der Hörer lag, war eine Spur. Eine wild zerstampfte Spur, die vom Couchtisch zum Kamin führte. Sie blickte hoch zu den Fotos, die auf dem Kaminsims standen. Die Fotos waren blutverschmiert. Rostrote Fingerabdrücke auf dem Liebsten. Und etwas fehlte. Etwas, das dort immer gehangen hatte. Etwas, das sie selbst dort hingehängt hatte. Ihr wurde schwindelig. Sie sank auf die Knie. Weinend streichelte sie die Spur am Boden. Kleine Füße. So kleine Füße.
     
    »Hamse n Handy?«
    »Bitte?« Kyra bewegte ihr Ohr noch etwas näher an den Lautsprecher heran, der in die Panzerglasscheibe eingelassen war. In ihrem Rücken brüllten zwei türkische Kids gegen ihren Vater an. Ein freundlicher deutscher Justizvollzugsbeamter versuchte, die mutterlose Familie mit »nix Besuchszeit, nix Besuchszeit« zu verscheuchen.
    »Wennse n Handy ham, müssenses hier abgeben. Handy ist drinnen nicht erlaubt«, wiederholte der Pförtner hinter dem Panzerglasschalter.
    »Ach so. Ja.« Kyra zog die Augenbrauen zusammen. Die beiden Jungs drehten noch einige Dezibel auf. Wahrscheinlich war die Mutter nur straffällig geworden, um im Knast ihrer Familie zu entkommen.
    Kyra lächelte den Pförtner gewinnend an. »Ich brauche aber mein Handy. Ich muss erreichbar sein. Gibt es keine Ausnahmeregelung für Journalisten? Wenn Sie wollen,
kann ich Ihnen eidesstattlich versichern, dass ich niemanden damit telefonieren lasse.«
    »Handy ist drinnen generell nicht erlaubt«, beschied der Pförtner ungerührt.
    Kyra ließ das Lächeln langsam aus ihrem Gesicht rutschen. Es war doch immer wieder beruhigend zu erleben, wie sehr man es sich in dieser Stadt sparen konnte, so zu tun, als ob man ein freundlicher Mensch wäre.
    »Ick hab mir die Vorschrift nicht ausgedacht«, schob der Pförtner hinterher, »da müssense sich schon beim Justizsenator beschweren.«
    Kyra machte den Mund auf und wieder zu. Sie lebte zu lange in Berlin, um nicht zu wissen, dass jedes weitere Wort sinnlos war. Widerwillig holte sie das Handy aus ihrer Tasche und legte es in den Schubkasten, der in den Schalter eingelassen war.
    »Wehe, wenn einer jetzt Bellevue in die Luft jagt«, knurrte sie mit geschlossenen Zähnen.
     
    Nach und nach erwachte Erika Konrad aus der Benommenheit, in die sie die blutige Fußspur gestürzt hatte. Unsicher schaute sie sich im Zimmer um. Auf einmal verstand sie. Natürlich. Es konnte gar nicht anders sein. Alles andere hätte gar keinen Sinn gehabt.
    Angst erfasste sie. Es war ihr Fehler. Alles war ihr Fehler. Sie und niemand sonst war schuld an dem, was hier geschehen war. Sie allein hätte es verhindern können. Warum war sie so schwach gewesen. So schwach und dumm. Sie allein war schuld.
    Erika Konrad schluckte die Tränen hinunter, die ihr unablässig übers Gesicht liefen. Noch war nichts endgültig verloren. Noch konnte sie alles wieder gutmachen. Sie musste nur stark sein. Stark und klug.

    »Herzig, nich«, sagte die grauhaarige Frau und zeigte auf die Glasvitrine, die bis oben hin mit
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