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Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis

Titel: Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis
Autoren: Thea Dorn
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vergehen.
    Franz klopfte sich ein paar Schuppen vom Fischgrätenjackett und lächelte. »Was hast du denn gedacht, welch düstre Heldin du in einem Berliner Knast triffst? Medea? Lucrezia Borgia?«
    »Quatsch«, würgte Kyra ihn ungnädig ab. »Nach dem, was sie getan hat, hätte ich einzig und allein erwartet, dass sie ein bisschen weniger banal ist, ein bisschen - gewaltiger.«
    Franz nahm seine verdreckte Hornbrille von der Nase und begann, sie mit dem Zipfel seines wie immer schwarzen Hemdes, das wie immer nicht in der Hose steckte, zu polieren. »Vielleicht fängst du ja langsam an zu begreifen, was für eine Schnapsidee dein Crime-Trip ist. Wenn du gewaltige Frauen suchst, komm zurück ins Feuilleton.«
    »Ha ha«, brummte Kyra, »sehr witzig. Da treff ich dann so gewaltige Frauen wie dich, oder was.«
    Franz setzte seine Brille umständlich wieder auf. Er blinzelte
Kyra durch die verschmierten Gläser liebevoll an. »Wenn du mir nicht aus Prinzip widersprechen müsstest, würdest du ja selbst zugeben, dass es spannender ist, in die Oper zu gehen und Elektra zu sehen, als irgendwelche Weddinger Hausfrauen zu interviewen, die ihre Stricknadeln aus Versehen mal in ihren Gatten gesteckt haben.«
    » Elektra! Elektra! Hör mir auf mit Elektra !« Kyra knallte ihre Faust auf den Tisch. »Was ist denn Elektra! Sophokles, Hugo von Hofmannsthal, Richard Strauss«, zählte sie auf und ließ bei jedem Namen einen Finger aus der Faust schnellen. »Elektra ist keine gewaltige Frau, Elektra ist eine gewaltige Männerfantasie.«
    »Vielleicht gibt es gewaltige Frauen nur als gewaltige Männerfantasien.«
    Kyra warf ihm einen wütenden Blick zu und schwieg.
    »Mal im Ernst. Ich sehe einfach nicht, was du dir davon versprichst, mit Handy und Beeper quer durch die Stadt zu hecheln und zu gucken, ob du irgendwo in Marzahn eine Fritzi Haarmann findest.«
    »Ich will wissen, ob es eine gibt.«
    »Ja und dann? Dann stellst du sie bei dir daheim in die Vitrine?«
    »Nein.« Kyra blickte finster vor sich hin. »Eine wirklich gewalttätige Frau, eine Frau, die durch und durch skrupellos, böse ist, würde diese Gesellschaft heftiger erschüttern als alle Revolutionen.«
     
    Es war kurz nach neun, als Erika Konrad die gelben Gummihandschuhe auszog, den letzten Eimer blutiges Putzwasser ins Klo kippte, die rostroten Lappen in einen Müllsack warf und den Staubsauger in die Kammer zurückstellte. Jeder einzelne Gegenstand, jedes Möbelstück, alle Wände und Böden in der Villa glänzten so blank, als ob noch keines Menschen Hand und Fuß sie je berührt hätten. Der gläserne Couchtisch war bis zur Unsichtbarkeit poliert. Im Kamin
fielen die glühenden Überreste des Seidenteppichs in sich zusammen.
    Erika Konrad ließ ihren Blick prüfend durch das Wohnzimmer und über ihren Mann hinwegwandern, der zusammengekrümmt in der äußersten Ecke des Raumes lag. Sie zögerte. Noch ein Letztes war zu tun. Vielleicht war es nicht klug, aber sie musste es tun. Sie ging zu dem gläsernen Regal neben dem Fernsehgerät und holte die oberste Reihe Videokassetten heraus. Nur die oberste Reihe, nur die privaten Videos ihres Mannes.
    Sie warf den schwarzen Stapel in den Kamin, übergoss ihn mit dem restlichen Benzin aus dem Geräteschuppen, und eine hohe Stichflamme schoss auf. Zufrieden hörte sie, wie der Kunststoff verbrutzelte. Jetzt war sie wirklich fertig. Fertig mit allem.
    Weder ihre Finger noch ihre Stimme zitterten, als sie die 110 wählte und sagte: »Hier Konrad, Wildpfad 30. Schicken Sie jemanden vorbei. Ich habe meinen Mann umgebracht.«
    Mach keine Türen auf in diesem Haus! Gepresster
    Atem, pfui! und Röcheln von Erwürgten, nichts andres gibts in diesen Mauern!
    Kyra lehnte sich in ihrem Sessel zurück und ließ die mächtige Stimme der Sopranistin durch sich hindurchrieseln. Sie hatte vollständig vergessen, wie wunderbar Elektra war. Elektra mit dem Beil. Elektra, die in blutigsten Tönen die Ermordung ihrer Mutter beschwor.
    Das ganze Haus ist auf. Sie kreißen oder sie morden.
    Wenn es an Leichen mangelt, drauf zu schlafen, müssen sie doch morden!
    Vielleicht hatte Franz Recht. Vielleicht war es tatsächlich albern, im kümmerlichen Bodensatz der Berliner Realität herumzustochern, wenn es auf der Bühne solche Figuren gab.
    Kyra war so weggetaucht, dass sie die leisen Lockrufe ihres Handys erst hörte, als Franz ihr unsanft in die Rippen stieß. Das Klingeln holte sie vom Olymp antiker Blutrunst in die Berliner Niederungen
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