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Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis

Titel: Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis
Autoren: Thea Dorn
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Blick den Raum. Es war der unbewegte Blick einer Eule.
    Kalter Schweiß stand dem Alten auf der Stirn. Seine Augäpfel hatten die Sehnerven ins Schlepptau genommen. Blind drängten sie ins Freie, dem Alabasterarsch, dem Elfenbeinspalt, den Marmortitten entgegen.
    Die Bewegungen des Mädchens wurden langsamer. Es legte den Kopf in den Nacken, reckte beide Arme in die Höhe
und stöhnte. Mit einer Hand streifte es den kupferroten Haarhelm ab, der sein Gesicht umrahmte. Von seiner Rechten troff Blut. Schritt für Schritt ging es auf den Alten zu. Die schwefelgelben Augen blitzten.
    Ihre Silhouette zerfloss vor seinem Blick. Je näher sie kam, desto flirrender wurde der Glanz, der sie umgab. Er starrte, ohne mit der Wimper zu zucken. Keine Sekunde ihres Anblicks wollte er sich entgehen lassen. Sollten seine Netzhäute zerreißen, seine Glaskörper bersten - es war ihm egal.
    Ihm. Dem abgehackten Kopf.

I
    »Verdammte Scheiße, kannste dem Balg nich mal ordentlich den Arsch abwischen!«
    Kyra Berg drückte die Stopptaste ihres Aufnahmegeräts und atmete tief durch. Geduld und Ausdauer waren die Waffen der Journalistin. Aber wenn das so weiterging, konnte sie sich mit diesem Interview den Arsch abwischen.
    Der Krabbler an der Schwelle zur Stubenreinheit plärrte los, als seine Mutter aufsprang und ihn vom Teppich pflückte.
    Sie blickte Kyra entschuldigend an. »Det is immer det Gleiche hier. Um jeden Scheiß muss ick mir kümmern. Der Olle macht jar nüscht. Zum Kotzen is det.«
    Kyra nickte ihr beipflichtend zu. Angesichts des verzierten Babyarschs war sie froh, nicht gefrühstückt zu haben.
    Die Mutter verschwand mit ihrer Fracht im Bad. Wassergeplätscher und heftigeres Krabblergebrüll legten sich über das Fluchen.
    Kyra stützte den Kopf in die Hände und massierte ihre Schläfen. Die Kopfschmerzen, mit denen sie heute Morgen bereits erwacht war, hatten zugenommen.
    Warum hörte das Balg nicht mit seinem Geschrei auf. Es brachte doch nichts. Die Mutter würde es sowieso bis aufs Blut schrubben. Und warum hörte die Frau nicht mit ihrem Fluchen auf? Der Fleischkoloss, der im Feinrippunterhemd in der Küche saß und Bier trank, würde sowieso dort hocken bleiben. Es war alles so sinnlos.
    »Nur noch n kleenen Moment. Ick bin gleich wieder da«, rief die Frau aus dem Bad. »Nehmense sich doch so lang noch n Kaffee.«

    Kyra warf einen Blick in die volle Tasse, die unberührt vor ihr stand. Jetzt meldete sich der Whisky von letzter Nacht doch noch zu Wort. Sie konnte diesen Kaffee nicht trinken. Keinen Schluck, hier in diesem Zwei-Zimmer-Drecksloch zwischen all der Babyscheiße, dem Bierdunst und den Häkelschonern, die im ganzen Raum verteilt waren, als könnten sie das Elend verhüllen.
    Es gab Tage, da bereute Kyra, dass sie nicht mehr fürs Feuilleton schrieb.
    Die Frau kam zurück. Sie ließ den Krabbler wie eine Katze fallen, streifte die Hände an ihren pinkfarbenen Leggings ab und ging wieder zum Sofa.
    »Also was wolltense jetzt zuletzt wissen?«
    Geduld und Ausdauer. Geduld und Ausdauer. Kyra drückte die Aufnahmetaste an ihrem Kassettenrecorder. »Ich hatte Sie gefragt, ob Sie sich erklären können, warum Ihre Mutter damals Ihren Vater umgebracht hat.«
     
    Erika Konrad wischte sich über die Stirn. Obwohl sie die Klimaanlage des Wagens voll aufgedreht hatte, war sie in Schweiß gebadet. Das seidene Sommerkleid klebte ihr am Rücken. Wie Schmeißfliegen kreisten ihre Gedanken um den Fleck zwischen ihren Schulterblättern, der ihr Lieblingskleid für immer ruiniert haben würde.
    Im Schritttempo ließ sie den Wagen die Einfahrt hinaufrollen. Je näher sie Berlin gekommen war, desto langsamer war sie geworden. Seitdem sie die Autobahn verlassen hatte, war sie nicht mehr schneller als dreißig gefahren. Es kam ihr vor, als ob sich ihr Fuß dagegen sträubte, weiter das Gaspedal zu treten.
    Erika Konrad stellte den Motor ab. Mit feuchten Händen hielt sie das Lenkrad umklammert. Natürlich war es nicht ihr Fuß, sondern ihr Herz, das sich dagegen sträubte, heimzukehren. Heimzukehren. Wie höhnisch dieses Wort in ihren Ohren klang. Sie blickte zu der mächtigen Villa, die
halb in der Sonne, halb im Schatten der alten Lärchen lag.
    Erika Konrad musste sich zwingen auszusteigen. Der Kies knirschte unter ihren Füßen. Sie bückte sich, um einen Stein zu entfernen, der sich in ihre roten Riemchensandalen geschoben hatte. Als sie mit der Nase in die Nähe ihrer Achselhöhlen kam, roch sie den Schweiß. Nur an den
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