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Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis

Titel: Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis
Autoren: Thea Dorn
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kühleren Tropfen, die auf ihren Handrücken fielen, merkte sie, dass sie weinte. Sie hatte in den letzten Jahren zu viel geweint, um Tränen an der Quelle zu spüren.
    Der Stein im Schuh war ihr plötzlich egal. Sie wollte nur noch die Hitze hinter sich lassen. Mit raschen Schritten legte sie die letzten Meter zur Eingangstreppe zurück.
    Die massive Holztür war lediglich zugezogen, nicht abgeschlossen. Erika Konrad warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Kurz vor drei. Ihr Mann konnte unmöglich zu Hause sein. Nie kam er vor sechs aus der Zeitung zurück. Es musste die Putzfrau sein.
    Im Haus war es kühl und still. Erika Konrad legte ihre Handtasche auf dem kleinen Teakholztischchen neben der Garderobe ab. Sie erschrak, als sie ihr Bild im Spiegel sah. Eine Vogelscheuche steckte in ihrem Lieblingskleid. Sie wagte nicht, die Sonnenbrille abzusetzen.
    Hier drinnen kam ihr der eigene Schweißgeruch noch widerlicher vor. Sie musste dringend duschen.
    »Ilona!« Ihre Stimme hallte durch das leere Haus. Kein Geräusch deutete auf die Gegenwart eines putzenden Menschen hin. Sie ging zu der geschwungenen Treppe, die ins obere Stockwerk führte, und rief noch einmal. »Ilona! Sind Sie da?«
    Dieser Gestank. Dieser grässliche Gestank. In ihrem ganzen Leben hatte sie noch nicht so erbärmlich gestunken. Selbstekel krampfte ihr den Magen zusammen. Sie spürte, wie die Übelkeit in ihrem Hals emporstieg. Erika Konrad schlug die Hand vor den Mund.

    Sie brauchte dringend eine Dusche. Brauchte dringend einen Cognac.
    Hilflos stolperte sie durch den Flur, an dessen Ende das Wohnzimmer lag.
    Wäre sie weniger verwirrt gewesen, hätte sie sich möglicherweise gefragt, wieso der grässliche Gestank, der sie vor sich selbst hertrieb, immer stärker wurde, je näher sie dem Wohnzimmer kam. Und hätte sie sich das gefragt, hätte sie möglicherweise gezögert, die Tür zu öffnen.
     
    »Herei-hein.« Kyra versuchte, sich auf dem Bürostuhl umzudrehen, ohne die Beine vom Schreibtisch zu nehmen. Aus dem Kassettenrecorder plärrte es in ungeschnittener Härte: »Sammie, ick warn dir. Beim nächsten Mal fängste eine.«
    »Jessas, was ist denn bei dir los?«
    Kyra grinste den kleinen Mann mit dem grauen Vollbart und der dunklen Hornbrille, der seinen Kopf vorsichtig zur Tür hereinsteckte, freundlich an. »Tja. Kann eben nich jeder uffe Arbeit Mozart hören.«
    Franz Pawlak war der lokale Musikredakteur beim Berliner Morgen. Fast drei Jahre lang hatten sie Tür an Tür im Feuilleton gearbeitet. Kyras selbstgewählten Wechsel ins Mord- und Totschlag-Ressort hatte er noch immer nicht verkraftet.
    »Sammile! Biste bescheuert. Nimm die Pfoten weg von meinen Cindy-Crawford-Videos.«
    Franz stieß einen erleichterten Seufzer aus, als Kyra das anschließende Krabblergeschrei per Tastendruck abstellte.
    »In welchem Neuköllner Hinterhof hast du das denn eingefangen?«
    »Nix Neukölln. Wedding. Ich bitte dich, Franz, das hört man doch. Neukölln klingt ganz anders.«
    »Tut mir Leid. Ich bin Österreicher. Mein akustisches Differenzierungsvermögen beschränkt sich auf Josefstadt und Favoriten.«

    Kyra griff nach dem Zigarettenpäckchen, das neben dem Kassettenrecorder lag, fischte mit gespitzten Lippen eine Zigarette heraus und steckte sie linkshändig an. Franz beobachtete den Vorgang, als schaue er einer Schlangenfrau im chinesischen Staatszirkus zu.
    Sie blies eine lange Rauchschwade in seine Richtung. »Also. Was gibts?«
    »Ich wollte fragen, ob du heute Abend zur Elektra- Premiere mitkommst. Staatsoper.«
    Kyra verdrehte die Augen. »Du lässt aber auch wirklich keinen Versuch aus, mich auf den Pfad der schönen Künste zurückzuführen, was?«
    »Heißt das nein?«
    »Das heißt: Ich weiß noch nicht. Nachher muss ich nach Plötzensee raus und die Mutter der reizenden Dame interviewen, deren Stimme du gerade gehört hast. Keine Ahnung, ob ich danach noch Bock auf Elektra hab.«
    »Seit wann interessieren dich denn Sozialreportagen?«
    Kyra ging zum offenen Fenster und aschte drei Stockwerke runter auf die Straße. Es war ein schöner Zug von der Neuen Hauptstadtzeitung, dass sie auf Fenstersperren verzichtete. Eine Touristengruppe schleppte sich unter einheitsblauen Sonnenhüten in Richtung Brandenburger Tor.
    »Wenn am Ende der Ehemann tot ist.«
    »Was? Diese Kreischsäge hat ihren Mann umgebracht? Und läuft frei rum?« Franz klang ernsthaft schockiert.
    »Nee, nee, bis die so weit ist, dauerts noch ne Weile.« Kyra warf den
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