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Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis

Titel: Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis
Autoren: Thea Dorn
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Plüschtieren voll gestopft war. »Die könnense alle kaufen. n paar von den Mädels hier machen die inne Werkstätten. Vor allen Dingen die rosa Elefanten mit den Schlappohren, die find ich besonders goldig. In meiner Zelle hab ich auch drei von den Kameraden hocken.«
    Kyra rückte an ihren Notizen. Wie immer, wenn sie nervös war, rieb sie an dem kleinen sternförmigen Muttermal herum, das links über ihrer Oberlippe saß. »Frau Becker, Sie waren gerade dabei, mir zu erzählen, wie es dazu gekommen ist, dass Sie Ihren Mann an jenem Abend dann wirklich umgebracht haben.«
    »Na ja. Wie gesagt.« Mit einem Achselzucken verabschiedete sich Hermine Becker vom Friedhof der Kuscheltiere. »An dem Morgen, da hat der Stiesel doch glatt vergessen, mir n Wecker zu stellen. Alles konnt ich vertragen, aber nich verschlafen. Das war für mich mein Tod. Hab ich ihn erst mal fertig gemacht, das war klar.«
    Kyra nickte, als sie Hermine Beckers zustimmungsheischenden Blick spürte.
    »Da is er denn erst mal aufgesprungen, da hat er gebrüllt, was mir nur überhaupt einfiel, ihm is das scheißegal, ob ich auch noch meine Arbeit verliere und, und, und.« Die alte Frau winkte ab. »Ach, Sie können sich gar nich vorstellen, das war die Hölle auf Erden. Aber so gings schon die ganze Woche, und den Tag besonders schlimm. Immer, wo er mich getroffen oder gesehen hat, gings rund, nur Bedrohungen, nur Bedrohungen, nur Bedrohungen, dass er mich umbringt. Da hab ich gesagt, is gut. Ich wusst schon vor Angst nich mehr - ich war inner Verfassung, das kann sich kein Mensch vorstellen.«
    In dem himmelblauen Rechteck hinter dem weiß vergitterten Fenster tauchte für wenige Sekunden ein startendes Flugzeug auf. Ein menschenfreundlicher Stadtplaner hatte
das Frauengefängnis auf einem Grundstück mit Flughafenblick erbauen lassen. Kyra verfolgte, wie sich der Kopf der alten Frau langsam seitlich neigte. Ein menschenfreundlicher Gefängnisarchitekt hatte die Gitter vor den Fenstern diagonal angebracht.
    Es dauerte eine Weile, bis Hermine Becker mit leiser Stimme weitersprach. »Ich weiß ja nich, was meine Tochter Ihnen erzählt hat, aber der Abend, das sag ich Ihnen jetzt, ob Sies mir glauben oder nich, das wars Ende. Das hat mich so fertig gemacht, dass ich nich mehr wusste, was hinten und vorne war. Und vor allen Dingen, er hat sich denn immer mehr reingekippt, hingepackt auf die Couch, das dauerte ne halbe Stunde, denn wieder hoch, zur Toilette, ins Schlafzimmer, alles war aufgerissen, angeguckt hat er mich und geschubst und denn... und denn...«
    Die alte Frau schaute Kyra hilflos an. Und plötzlich rollten ihr Tränen übers Gesicht. Tränen, die so fremd wirkten, als hätte ihr eine unsichtbare Maskenbildnerin Glyzerin in die Augen getropft. »Ich weiß es doch nich«, sagte sie und rang die Hände, »ich kann mich doch an nix mehr erinnern. Das is alles wie - wie weggewischt.« Sie zog ein Taschentuch aus ihrem Kittelkleid und schnäuzte. Die Tränen waren so plötzlich verschwunden, wie sie gekommen waren. »Und wissen Sie: Manchmal kommt es mir grad so vor, als ob ich das gar nich gewesen wär, als ob da irgend n andrer die Paketschnur genommen und das für mich gemacht hätte.« Sie lächelte. »Aber ich muss es wohl gewesen sein, es war ja sonst niemand da.«
     
    Erika Konrad legte den Wischlappen aus der Hand. Sie hatte jegliches Gespür dafür verloren, wie lange sie schon arbeitete. Die körperliche Anstrengung tat ihr gut. Entschlossen ging sie auf den Couchtisch zu.
    Sie hatte sich getäuscht, vorhin, als sie gedacht hatte, der fehlende Kopf hätte ihren Mann nicht verändert. Es hatte
ihn verändert. Zum ersten Mal seit Jahren konnte sie ihn anschauen, ohne Furcht zu haben, dass er sie anschaute. Dass er sie mit seinen unbarmherzig gealterten Herrenmensch-Augen anschaute.
    Erika Konrad blies sich eine Strähne aus dem Gesicht, packte ihren Mann an beiden Armen und zog ihn mit einem Ruck vom Couchtisch herunter.
     
    »Franz, das ist doch nicht zum Aushalten! Eben noch erzählt mir diese Frau, welche Hölle ihr Leben war, und im nächsten Atemzug erklärt sie mir, wie goldig die Plüschelefanten mit ihren Schlappohren sind!« Kyra fuchtelte aufgeregt mit ihrem Glas herum. Ein Schwung Champagner landete auf dem Ärmel des Herrn, der in premierenblaues Tuch gewandet am nächsten Stehtisch lehnte und seinen Opern-Aperitif zu sich nahm. Das Tut-mir-Leid, das Kyra in seine Richtung fauchte, ließ ihm jegliche Beschwerdelust
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