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Die Himmelsbraut

Die Himmelsbraut

Titel: Die Himmelsbraut
Autoren: Astrid Fritz
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natürlich, wenn er allein kam. Dann trödelten sie, bis der Abstand zu den anderen immer größer wurde, und erreichten das Portal der kleinen Kirche erst beim letzten Glockenschlag. Dort knuffte Phillip sie freundschaftlich, um eiligst in der Seitenpforte zu verschwinden, von der man in die herrschaftliche Empore gelangte.
    An diesem Sonntag nach Ostern wartete sie indessen vergeblich darauf, dass Phillip sie abholte. Auch den folgenden Sonntag kam er nicht, stattdessen erschien Kilian. Von ihm erfuhr sie die Gründe für Phillips Abwesenheit – besser gesagt, musste sie ihm wie immer jeden Satz aus der Nase ziehen.
    «Letzten Sonntag hatte er Altardienst.»
    «Und heute?»
    «Zwei Tage Karzer.»
    «Was?»
    «Er hat in der Schulstunde Widerworte gewagt. Gegen seinen Magister.»
    «Was hat er denn gesagt?»
    Kilian zuckte die schmächtigen Schultern.
    «Irgendwas gegen den Ablasshandel. Mehr weiß ich auch nicht.»
    Den Rest des Weges trotteten sie stumm nebeneinander her, unter einem grauen Himmel, aus dem es zu nieseln begann. Antonia hatte plötzlich das untrügliche Gefühl, dass ihre Kindheit im Begriff war, zu Ende zu gehen. Und damit jene unbeschwerte Zeit, die sie zusammen mit Phillip verbracht hatte.
    Von klein auf waren sie beide, nicht anders als alle Kinder aus Unterthann und von den umliegenden Höfen, durch die Natur gestromert, barfuß, mit schmutzigem Gesicht und Dreck unter den Fingernägeln. Später dann, zu Pferd, hatten sie den Umkreis ihrer Streifzüge erweitert. Hatten im Wald wilde Tiere aufgespürt, Bachläufe zum Baden aufgestaut oder sich gemeinsam vor der schönen, weiß gewandeten Waldfrau Melusine gegruselt, die in den Abendstunden durch das Unterholz spukte und auf Erlösung harrte.
    Antonia konnte sich nicht erinnern, dass sich ihr Vater je Sorgen um sie gemacht hätte. Schließlich befand sie sich in der Obhut von Phillip, der um zwei Jahre älter war, und vermochte zu reiten wie ein Kerl. Kilian hatte es ihr auf einer alten, erfahrenen Stute beigebracht – Kilian, der Seltsame, der Eigenbrötler, der ohne Worte mit den Pferden sprach und abgesehen von der Reiterei rein gar nichts auf ritterliche Stärken und Eignungen gab. Als Knabe hatte sein Vater ihn zu den Cisterciensern nach Tennenbach bringen wollen, aber er hatte sich mit Händen und Füßen gewehrt. Kilian gehörte zu der Sorte Mensch, der weder Feinde noch Freunde hatte und auch niemanden zu brauchen schien, solange er nur bei seinen Pferden sein konnte. Die Einzigen, denen er sich hin und wieder anschloss, waren Phillip und Antonia.
    Auch wenn sie am liebsten mit Philipp allein war, hatte Antonia nichts dagegen, dass Kilian sie bei ihren Ausritten begleitete, da sie ihn in seiner seltsamen Art mochte. Schweigsam, dabei höchst aufmerksam, pflegte er neben ihnen herzureiten und spürte dabei die wundersamsten Dinge auf: eine Höhle, einen Dachsbau, eine unbekannte Quelle, ein Rudel Rotwild im Dickicht des Waldes. Er und Phillip waren Antonia im Laufe der Kindheit zu älteren Brüdern geworden, viel mehr noch als Bernward, ihr leiblicher Bruder, zu dem der Altersunterschied sehr groß war.
    Zu ihrem Glück waren weder Phillip noch seine beiden Brüder Kilian und Wieghart, wie bei vielen Rittern noch immer üblich, mit dem siebten Lebensjahr als Pagen an den Hof hoher Herren geschickt worden. Reichsritter Markwart von Holderstein konnte die Hilfe seiner Söhne auf der Burg und auf seinem Gestüt nicht entbehren, außerdem wäre eine Ausbildung in der Fremde zu kostspielig geworden. So wurden sie von einem jungen fahrenden Ritter mit Namen Egino zu Hause erzogen.
    Als Kind war sie oft mit dabei gewesen, wenn Phillip und Kilian ihre Leibesübungen in der Vorburg oder auf den Wiesen hinter dem Dorfweiher durchführten. Dabei ging es anfangs vor allem um körperliche Ertüchtigung, um tägliches Laufen, Schwimmen und Ringen; auch Steinwurf und Faustkampf gehörten dazu. Später mussten sie sich in den Reitkünsten und im Bogenschießen für die Jagd vervollkommnen oder lernen, wie man Vogelfallen aufstellte und mit Jagdhunden umging.
    Bei den weniger kämpferischen Übungen erlaubte Egino hin und wieder, dass Antonia teilnahm. In den Erholungspausen setzten sie sich dann unter einen Baum oder in die Schutzhütte am Weiher, lauschten alten Ritter- und Heldensagen oder Eginos Gesang und Saitenspiel. Kilian hatte sich übrigens schon sehr bald als äußerst begabt im Lautenschlagen gezeigt, während Phillip das Instrument reichlich
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