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Die Himmelsbraut

Die Himmelsbraut

Titel: Die Himmelsbraut
Autoren: Astrid Fritz
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auf dem kalten Fußboden ihre Bußübungen gemacht, bis sie zu heulen anfing.»
    Phillip verzog den Mund zu einem spöttischen Grinsen. «An Magdalena regnet’s gern, weil sie weinte um den Herrn.»
    «Sei still!»
    Sie konnte diesen Spruch nicht mehr hören, den die Dorfkinder oft genug der Schwester hinterhergerufen hatten – sie selbst, zu ihrer Schande, nicht selten vorneweg.
    Phillip zuckte die Schultern. Schweigend beobachteten sie die Jährlinge, die zwischen den Obstbäumen übermütig ihre Kräfte maßen. Bald würde man sie von der Herde der Mutterstuten trennen.
    «Hast du gewusst», Phillip kickte ein Steinchen den Hang hinab, «dass euer Vater einen Bräutigam für sie gefunden hat?»
    «Was? Wer soll das sein?»
    «Der Sohn des Landschreibers von Oberkirch. Ich hab gehört, wie unsere Väter darüber gesprochen haben. Im Sommer sollen sich die beiden kennenlernen.»
    «Lena und heiraten! Die ist doch mit der Kirche verheiratet.»
    «Das hat sie von eurer Mutter. Kilian sagt, dass eure Mutter jeden Tag in die Kirche gegangen ist und jeden Sonntag zur Beichte.»
    «Mag sein. Ich kann mich an meine Mutter gar nicht recht erinnern.»
    Phillip stieß sie in die Seite. «Was ist eigentlich mit
dir
? Hast
du
schon einen zum Heiraten im Auge?»
    Antonia sah ihn erstaunt an. Über solcherlei Dinge hatten sie noch nie gesprochen. Phillip lächelte ein wenig verlegen, und sie stellte fest, wie schmuck er heute aussah mit seinem sauberen blau-roten Gewand und dem frischgewaschenen hellbraunen Haar, das ihm in dichten Locken bis über die Schultern fiel. Sie selbst hatte noch keine Zeit gefunden, sich vor dem morgigen Osterfest zu baden oder zu kämmen, und konnte plötzlich den Küchendunst der letzten Tage an sich riechen.
    «Wann musst du wieder in die Stadt?», lenkte sie von seiner Frage ab.
    «Übermorgen. Leider.»
    Sein Lächeln wich einem mürrischen Gesichtsausdruck.
    Antonia wusste, wie schwer es ihm jedes Mal fiel, wieder nach Offenburg zu reiten. Seit gut drei Jahren besuchte er dort die Klosterschule der Franziskanerbrüder, und so groß seine Freude am Lernen war, so litt er doch unter dem Eingesperrtsein und dem streng geregelten Tagesablauf. Wenigstens durfte er die Sonntage zu Hause verbringen, sofern er nicht zu Messdienst und Chorgesang verpflichtet war.
    «Es ist ja nur noch bis zum Sommer», tröstete sie mehr sich selbst als den Freund. «Und dann sind wir die ganze Erntezeit zusammen.»
    «Ja – aber was kommt danach? Danach schickt Vater mich sonst wohin. Zu irgendeinem fremden Herrn, damit ich ganz standesgemäß das Waffenhandwerk und das höfische Leben kennenlerne.»
    Antonia wollte gar nicht daran denken, in welche Gefahren er sich als Knappe begeben würde, wenn er seinem Herrn beim Turnier oder Kampf zur Seite stand.
    «Wir müssen zurück. Ich will mich für die Osternachtmesse richten.»
    «Aber bis zum Kirchgang ist doch noch Zeit.»
    «Nicht wenn wir vorher am Stall vorbeigehen. Ich möcht gern sehen, ob das Fohlen schon da ist.»
    «Na gut.» Er half ihr auf die Beine. Seine Hände waren warm und kräftig. «Lass uns wetten, ob es eine Stute oder ein Hengst wird. Ich sage: Hengst.»
    Sie musste lachen. «Da bleibt mir ja nur noch die Stute. Um was wollen wir wetten?»
    «Wer gewinnt, darf sich was wünschen.»
    «Und was wünschst du dir?», fragte sie neugierig.
    «Einen Kuss.»
     
    Wenn Antonia behauptete, sie könne sich kaum noch an ihre Mutter erinnern, entsprach das nicht ganz der Wahrheit. Zwar war sie erst sechs Jahre alt gewesen, als ihre Mutter im Kindbett mitsamt dem Neugeborenen verstorben war, aber eines hatte sie tatsächlich noch heute vor Augen: wie die Mutter jeden Morgen in aller Frühe in Richtung Dorfkirche verschwand – mit Magdalena an der Hand, bei Eis und Schnee, bei Sturm oder strömendem Regen. Weder ihre älteste Schwester Katharina noch sie selbst hätte daran Gefallen gefunden, und Bernward, ihr Bruder, gleich gar nicht, der damals schon ein hoch aufgeschossener Junge von zwölf, dreizehn Jahren gewesen war. Magdalenas große hellblaue Augen indessen hatten jedes Mal zu strahlen begonnen, wenn die Mutter, mit engelsgleichem Gesicht, die Hand nach ihr ausgestreckt und gesagt hatte: «Komm, gehen wir zum lieben Gott.»
    Zu jener Zeit musste es auch gewesen sein, dass Magdalena erstmals in diese seltsamen Zustände geriet. Das konnte bei Tisch geschehen, bei der Handarbeit oder sogar mitten im Gehen. Es sah aus, als würde sie die Luft anhalten,
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