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Die Hexe

Die Hexe

Titel: Die Hexe
Autoren: Vadim Panov
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sichtete er ausgebleichte Manuskripte, streichelte zärtlich über massive Ledereinbände und fühlte sich als der glücklichste Mensch der Welt. Die Euphorie, mit der sich Maxim auf seine neue Aufgabe stürzte, hielt so lange an, bis er das erste, zufällig ausgewählte Werk zu Ende gelesen hatte. Dann platzte seine heile Welt wie eine Seifenblase, denn die Botschaft, die zwischen den zerfledderten Buchdeckeln verborgen lag, hatte die Sprengkraft einer Bombe und offenbarte ein Geheimnis, das die gesamte menschliche Zivilisation in ihren Grundfesten erschütterte. Dieses Geheimnis lag im Wissen der Bibliothek und machte ihn unweigerlich zum Gefangenen der schummrigen Schreibstube, die sich in einem vergessenen Winkel des Moskauer Kremls befand. Mit Schrecken wurde Maxim bewusst, dass sein ungestümer Tatendrang ihn an den Rand eines gähnenden Abgrunds geführt hatte und sein Leben fortan nicht mehr ihm gehörte, sondern einer Mission, die unendlich viel größer war als er.
    Die Euphorie verflog, doch was blieb, waren der wache Verstand, die Erfahrung und die Meisterschaft eines der gebildetsten Menschen seiner Zeit. Nicht zuletzt dank seiner zähen Beharrlichkeit gelang es Maxim, die herkulische Aufgabe, mit der Iwan der Schreckliche ihn betraut hatte, zu bewältigen.
    Grek rieb sich die Augen und legte dann voller Ehrfurcht die Hand auf das dicke Buch, das in schwarzes Leder eingebunden war. Voller Ehrfurcht, weil ihm sein eigenes Werk nicht ganz geheuer war, weil dieser schwere Foliant ihm jahrelang Alpträume bereitet hatte und weil der Mönch genau wusste, welche Macht in den handschriftlichen Seiten dieses Buches verborgen lag. Doch der russische Zar hatte Recht damit getan, ihn mit der Schaffung dieses Exzerpts zu beauftragen, denn das Wissen, das in der Bibliothek selbst niedergelegt war, besaß noch viel größere Sprengkraft.
    Der Mönch seufzte und erhob sich von seinem Stuhl. Es war an der Zeit, zum Zaren zu gehen.
     
    »Ich habe mich nicht in dir getäuscht, Grek.« Die Stimme des Moskauer Herrschers klang gedämpft. »Sieht so aus, als hättest du gut gearbeitet.«
    Maxim neigte den Kopf: »Das hoffe ich, Herr.«
    »Das hoffe ich auch – für dich …«
    Grek hatte so große Angst vor dem russischen Zaren, dass ihn allein der Gedanke an dessen Habichtsgesicht an den Rand einer Magenkolik brachte. Dabei wirkte Iwan zumindest im ersten Moment nicht unbedingt furchteinflößend. Seine Statur war bestenfalls mittelprächtig, sein rötlicher Vollbart nicht der dichteste der Welt, sein Gesicht eher feinzügig als grobschlächtig und seine dünne Stimme kein Donnergrollen. Dennoch strahlte seine Anwesenheit etwas aus, das all seinen Untergebenen einschließlich Maxim den Angstschweiß auf die Stirn trieb. Vermutlich lag es am unergründlichen Blick seiner blauen Augen, die über der prägnanten Hakennase rastlos in den Höhlen rollten.
    Hinter der zerfurchten Stirn Iwans des Schrecklichen dräute ein Geheimnis und auf seinen schmalen Schultern lastete eine kolossale Verantwortung. Hätte der Mönch dies vorher gewusst, als er noch in seiner griechischen Heimat weilte, hätten ihn weder seine Leidenschaft für Bücher noch ein astronomisches Salär in das wilde Land dieses unheimlichen Herrschers locken können.
    »Meine Arbeit ist beendet, Herr.«
    »Selbst Gott hat vieles unvollendet gelassen, Grek«, erwiderte der Zar zerstreut, während er in dem Buch blätterte. »Wie viel mehr muss das für uns Sünder gelten. Wie gefällt dir das Leben in Moskowien?«
    Zum ersten Mal überhaupt erkundigte sich Iwan nach dem Befinden des Mönchs und Grek schwante nichts Gutes dabei.
    »Eure Stadt ist großartig, Herr, aber …«
    »Wie schön, dass es dir bei uns gefällt.«
    Maxim lief es kalt den Rücken herunter und in seinem Hals bildete sich ein Klumpen. Doch er nahm all seinen Mut zusammen.
    »Ich würde gern in meine Heimat zurückkehren, Herr.«
    »Der Weg ist weit und gefährlich, Grek: Flüsse, Sümpfe, Räuber. Hier in der Stadt bist du sicher und kannst ruhig schlafen.« Der Zar hob den Blick und fixierte den Mönch streng. »Es wird dir an nichts fehlen, Grek.«
    Das verfluchte Geheimnis, dachte Maxim und ließ desillusioniert den Kopf hängen. Die ganze Zeit über hatte Iwan den Mönch betont wohlwollend und mit ausgesuchter Höflichkeit behandelt, was bei den adligen Bojaren Verwunderung und Neid hervorrief, da sie regelmäßig zur Zielscheibe der berüchtigten Wutausbrüche des Herrschers wurden. Doch
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