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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu
Autoren: Pauline Gedge
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draußen zu schielen, als sie mich verließ, meine Kleidung für mich zu holen. Sollte Kamen seinen Spaß haben. Ich würde überrascht und entzückt tun, welcher Anblick sich mir auch immer bot, wenn er mich abholte.
    Isis schien von der Feierlichkeit des Augenblicks überwältigt zu sein. Ihre Berührung war ehrfürchtig, als sie mich in das weiß-silberne Kleid kleidete, das schwer von vielen winzigen goldenen Ankhs war, und mir das Pektoral aus
    Silberfiligran um den Hals legte. Ich wollte das Haar geflochten tragen, doch sie überhörte meine Bitte, kämmte es locker aus und bändigte es mit einem breiten silbernen Kopfreifen mit einem Ankh, in dessen Armen die winzigen Federn der Maat hingen. Meine Augen hatte sie mit Khol umrandet, meinen Mund mit Henna rot geschminkt, hatte mich mit Myrrhe betupft und zog mir gerade juwelenbesetzte Sandalen an, als sich Kamen durch den Vorhang schob und ihrer Hände Werk begutachtete. Sie mußte mir nur noch goldene Ringe auf die Finger stecken, wenn das Henna auf meinen Handflächen getrocknet war. „Sehr gut, Isis“, sagte Kamen nach kritischer Musterung. „Und jetzt, Mutter, sag ihr, daß sie die beiden Rollen holt, die der Pharao für dich diktiert hat.“ Isis warf mir einen Blick zu. Ich nickte. Als sie fort war, stand ich auf.
    „Mein Sohn“, sagte ich ruhig. „Ich liebe dich, aber du hast jetzt lange genug mit mir gespielt. Ich möchte die Wahrheit wissen.“ Er neigte den Kopf, trat zu mir und nahm mein Gesicht in die Hände. Seine Augen leuchteten warm.
    „Ach, liebe Mutter“, murmelte er. „Weißt du eigentlich, wie stolz es mich macht, dein Sohn zu sein? Oder wie glücklich ich im Augenblick bin? Ich habe oft über die wundersamen Wege des Schicksals gestaunt, doch niemals mehr als hier in dieser Kabine, in der du strahlst wie die Göttin Hathor selbst.“ Er ließ die Arme sinken, als Isis zurückkam, und auf ein weiteres Nicken von mir gab sie Kamen die Rollen. Er erbrach an beiden die Siegel und las sie schnell. „Nimm die hier“, sagte er und reichte sie mir. „Aber komm nach draußen, ehe du sie liest.“ Er hielt mir den Vorhang auf. Ich holte tief Luft und ging an ihm vorbei.
    Vor meinen Augen erstreckte sich das glänzende Wasser des Sees von Fayum bis in weite Ferne, wo die Hügel ringsum in den Himmel übergingen. Lustboote befuhren ihn bereits, ihre weißen Segel flatterten in der Morgenbrise, weißer Schaum bildete sich hinter ihrem Heck. Am Ufer standen überall Bootstreppen, die strahlend weiß in der Sonne leuchteten und von denen Wege zu den niedrigen Häusern führten, die in der üppigwilden Vegetation fast verschwanden. Von großen Obstgärten wurden Blütenblätter herangeweht und trieben an mir vorbei. Palmenhaine schaukelten. „Aber, Kamen“, stammelte ich. „In Fayum stehen keine Anwesen zum Verkauf.“
    „Nein“, sagte er ruhig und nahm meine Hand in seine. „Dreh dich um, Mutter. Sieh hinter dich.“ Jetzt packte mich die Furcht, eine schreckliche, mächtige Angst überkam mich und eine Vorahnung und Unglauben, denn ich wußte, was ich sehen würde, wenn ich mich umdrehte, und mein Herz fing an zu hämmern, und der Atem stockte mir.
    Alles war noch so, wie ich es in Erinnerung hatte: die hübsche Bootstreppe, an der wir festgemacht hatten, der gepflasterte Weg unter hochgewölbten Bäumen, das hohe Unterholz zu beiden Seiten, das alles von den Ackern trennte, und hinter ihnen jeweils ein Tempel. Ich konnte den Granatapfelhain und die Sykomoren sehen, die das Haus selbst beschatteten und so dicht standen, daß der Wüstensaum dahinter unsichtbar blieb. Ich wußte, wo der Dattelhain lag und der Obsthain und der Weingarten. Ich kannte die Reihe von hohen Palmen, welche die Bewässerungsgräben kennzeichneten, die meinen Feldern Leben spendeten.
    Meine Felder. Meine zehn Aruren, die mir vor so langer Zeit überschrieben worden waren. Wie viele Male hatte ich mich mit wehem Herzen gefragt, wessen Füße auf dem Weg gingen, wessen Stimme sich mit dem Verwalter über die sprießenden Felder hinweg unterhielt, wessen Hände zur Erntezeit die Traubendolden umfingen. Ich entzog Kamen meine Hand, stolperte über das Deck und hielt mich an der Reling fest. „Ich verstehe das nicht“, flüsterte ich. „Hilf mir, Kamen.“ Er stellte sich neben mich und legte mir den Arm um die Schulter.
    „Als man mich als Säugling zu Men brachte, hat der Pharao ihm im Austausch für sein Schweigen zehn Aruren Khato-Land in Fayum
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