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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu
Autoren: Pauline Gedge
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Haus kam näher. Die Sonnenflecken, durch die ich ging, machten kurz gleißendem Sonnenschein Platz, als ich am Fischteich vorbeikam. Sein Wasser war einst verschlammt gewesen, doch jetzt leuchtete es klar, und überall schwammen Lotos- und Seerosenblätter. Linker Hand, auf der anderen Seite des Teiches, warf der Freiluftschrein einen Schatten über das Gras. Seine kleinen Türen standen offen, der Schrein selbst war leer und wartete darauf, meinen geliebten Wepwawet aufzunehmen.
    Jetzt lag der Hauseingang direkt vor mir, mit zwei weißen Pfeilern von einem solchen Umfang, daß zwischen ihnen nur Schatten war. Kein Türhüter erhob sich zu meiner Begrüßung. Das Schweigen war mit Händen zu greifen. Mein Fuß stockte, denn auf einmal überkamen mich böse Ahnungen. Irgend etwas stimmte nicht.
    Ich spähte in den kühlen Eingang, versuchte das Gefühl zu deuten, das mir sagte, dreh dich um, lauf weg, zurück zum Boot, zurück in Kamens schützende Arme, bring dich in Sicherheit. Der Schweiß brach mir aus, durchfeuchtete die Rollen, die ich umklammerte. Thu, du machst dich lächerlich, sagte ich zu mir. Du weißt doch, was drinnen ist. Der Empfangsraum, groß und gefällig, Durchlässe in der gegenüberliegenden Wand, die zum Schlafzimmer, Gästezimmer, Verwalterzimmer und auf einen Gang zum hinteren Garten führen, wo du das Badehaus und die Küche und die Dienstbotenunterkünfte findest.
    Dienstboten.
    Der Verwalter.
    Ich holte tief Luft, nahm mein Herz in beide Hände, schickte ein leises Stoßgebet zu Wepwawet und trat über die Schwelle.
    In der Zeit, die ich brauchte, bis sich meine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, fiel mir zweierlei auf. Erstens Jasminduft, sehr schwach, aber unverkennbar, der sich in meine Nase stahl und mir das Blut in den Adern stocken ließ. Zweitens, daß ich nicht allein war. Eine Gestalt löste sich aus dem Dunkel.
    Hochgewachsen.
    Graue Haut.
    Graue Haut.
    Sie näherte sich, zögerte, und ein verirrter Strahl aus dem Lichtgaden ließ ihren Kopf reinweiß aufleuchten. Das Herz blieb mir stehen, und ich rang nach Luft, so erschrocken und entsetzt war ich.
    Da stand er und blickte mich mit seinen roten, kholumrandeten Augen fest an. Von der Mitte an war er nackt, das mondfarbene Haar fiel ihm als dicker Zopf auf eine bleiche Schulter, die Falten eines dünnen Schurzes liebkosten seine Knöchel. Um seinen Oberarm ringelte sich eine silberne Schlange.
    Ich rammte mir die Faust in die Rippen, und mit einem Ruck fing mein Herz wieder an zu rasen.
    „Nein“, sagte ich. „Nein.“
    Und dann war ich wie von Sinnen. Ich stürzte mich auf ihn, schlug unbeholfen nach ihm, hämmerte auf sein Gesicht, seine Brust, seinen Magen ein, zerkratzte ihn mit meinen Ringen, wollte ihm das Haar ausreißen. Und er parierte stumm, versuchte meine Handgelenke zu packen, knurrte, wenn ich ihn getroffen hatte, doch am Ende siegte er. Er drückte mich an sich und verschränkte die Arme hinter mir, während ich keuchte und schluchzte.
    „Das ist mein Haus!“ schrie ich. „Raus aus meinem Haus!“ Ich spürte, wie er den Griff lockerte, und riß mich los. Er hob die Hände und die weißen Schultern. Blut rann ihm den Hals hinunter aus einer Wunde, die ich ihm unter dem Ohr beigebracht hatte.
    „Ich kann nicht“, entschuldigte er sich. „Leider gilt der Befehl des Pharaos und des Prinzen mehr als deiner. Jetzt darfst du die Rolle lesen.“
    „Halt den Mund!“ krächzte ich. Ich zitterte vor Schreck und war Spielball der unterschiedlichsten Gefühle: Wut, Angst, was er mir antun konnte, Erleichterung, daß er am Leben war, Gram, daß er irgendwie überlebt hatte, und innigliche Gefühle beim Klang der vertrauten Stimme. Mit linkischer, heißer Hand erbrach ich das Siegel.
    Die Worte sprangen mir mit entsetzlicher Klarheit entgegen. „Meine liebste Thu“, las ich. „Ich habe den Fall des Sehers und Edelmanns Hui geheim verhandelt, habe ihn des Hochverrats und der höchsten Gotteslästerung für schuldig befunden und ihn dazu verurteilt, sich das Leben zu nehmen. In Anbetracht der Jahre jedoch, die er mir als Leibarzt und Ägyptens größter Seher gedient hat, und bei dem Gedanken, daß du, meine wunderschöne Nebenfrau, einen Mann verdienst, der deiner Begabungen und Leidenschaften würdig ist, habe ich beschlossen, sein Leben zu verschonen, falls du geruhst, ihn als deinen demütigen Diener anzunehmen, solange du willst. Falls du ihn lieber fortschicken möchtest, erleidet er die Strafe, die ich
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