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Die Herrin des Labyrints

Die Herrin des Labyrints

Titel: Die Herrin des Labyrints
Autoren: Andrea Schacht
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ich dich, und du kamst mir in diesem langen Gang entgegen. Du hast ein phantastisches Bild geboten. Leuchtend, schimmernd, majestätisch und fordernd. Noch eine wahnsinnige Nacht. Es gab Momente, in denen ich glaubte, du würdest mich umbringen.«
    Er schwieg einen Moment, und ich fühlte ein leichtes Zittern seiner Schultern.
    »Damon?«, flüsterte ich.
    »Es wäre mir gleichgültig gewesen, Amanda. Ich wollte es dir damals schon sagen. Ich wollte dir auch sagen, dass ich dich noch immer liebe. Aber am Morgen warst du wieder wie ein Spuk verschwunden. Nur das Kleid lag wie eine Blutlache vor meinem Bett. Glaub mir, ich habe bestimmt eine halbe Stunde mit den Zähnen geknirscht, vor Wut, dass ich dich habe gehen lassen. Später habe ich den Veranstalter nach den Tänzerinnen gefragt, und so kam ich zu Halima.«
    »Mit ihr hast du fortgesetzt, was ich angefangen hatte, unter Zuhilfenahme einiger schamanischer Tricks. Ja, ja …«
    »So ist es. Ich wollte dich demütigen. Wahrscheinlich ist mir das gelungen, aber du hast mir trotzdem geschrieben.«
    »Patrick hat mich darum gebeten. Ich wollte ihm zum Geburtstag eine Freude machen.«
    »Und hast dafür Kröten geschluckt!«
    »Einen Eimer voll, ja.«
    »Das meinte ich mit Mut. Derartige Dinge hast du dann noch ein paarmal wiederholen müssen, ich weiß. Was ich erstaunlich finde, ist die Beharrlichkeit, mit der du meine kalten Duschen ausgehalten hast.«
    »Ah, nennen wir es lieber Wechselbäder. Es waren auch ein paar kochende Abbrühungen dabei.«
    »Mh. Ja. Und wieder – trotzdem hast du den Mut gefunden, mich nach unserer gemeinsamen Zukunft zu fragen. Als du am Freitagabend weggegangen bis, ist mir zum ersten Mal aufgegangen, dass dir vielleicht doch etwas an mir liegen könnte und du nicht nur ein Spiel mit mir treibst.«
    »Interessante Erkenntnis, lieber Damon.«
    »Amanda?«
    »Blind, taub, doof, lahm und hinkend!«
    »Ich habe beinahe zu lange gebraucht, ich weiß. Aber das, was du heute getan hast, Amanda, dafür bewundere ich dich unendlich.«
    Damon drehte sich ganz um und saß jetzt auf den Knien vor mir.
    »Nicht deine Ruhe und überlegene Handlungsweise in dieser bedrohlichen Situation. Das meine ich nicht. Sondern die Tatsache, dass du mir dein Wissen anvertraut hast. Obwohl du wusstest, was deine Worte für mich bedeuten würden. Du hast mich mit einer mörderischen Waffe in der Hand in das Labyrinth gehen lassen. Mit dem Bewusstsein, dass Patrick in derselben Gefahr schwebte wie einst mein Bruder.«
    »Was sollte ich sonst tun, Damon?«
    »Eben – du bist die, die du bist, und anders hättest du nicht handeln können. Amanda, du hast einmal von Ariadne und dem roten Faden gesprochen. Kennst du die tieferen Hintergründe des alten Mythos?«
    »Ich wollte danach suchen.«
    »Ich habe sie gefunden. Die Sage geht auf einen alten Einweihungsritus zurück. Ariadne war die Priesterin, die ihn leitete. Das Labyrinth war kein Gebäude, sondern ein Mosaik auf dem Boden eines Tempels. Eine Reihe von Tänzern, die miteinander durch ein Seil, vermutlich ein rotes Band, miteinander verbunden waren, tanzten entlang dieser gewundenen Pfade. Das führte dazu, dass der Anführer der Kette, zum Beispiel Theseus, schließlich in der Mitte des Labyrinthes stand. Er war somit umgebenvon allen anderen, die ihm den Ausgang versperrten. In ihrer Mitte hatte er den Kampf mit dem Minotaurus auszutragen – die Initiation. Vielleicht war es ein symbolischer Kampf mit einem Maskierten, vielleicht aber auch ein echter Kampf auf Leben und Tod. War er beendet, führten die anderen Tänzer ihn mit Hilfe des roten Bandes wieder aus dem Labyrinth hinaus, diesmal als Letzten der Kette. Tod oder lebendig. Weshalb er den Ariadnefaden benötigte.«
    »Es ist also wirklich ein Tanz.«
    »Ja, es ist ein Tanz, der der Figur eines Labyrinths folgt und der eine vielschichtige Bedeutung hat. Ich frage mich, ob das, was du heute getan hast, auf Wissen oder auf Intuition beruhte. Aber du hast das einzig Richtige gemacht, Amanda. Du hast mich den Kampf führen lassen, den ich als Junge nicht beenden konnte. Ich hatte damals keine Möglichkeit, mich gegen meinen Vater zu wehren. Obwohl er seine Strafe erhielt, konnte ich der Bedrohung nicht entfliehen. Sie fraß an meiner Seele und kam in Alpträumen zu mir. Das Ungeheuer war immer da, und ich konnte es nicht zu fassen bekommen. Mein Vater lebt zwar noch, aber er ist ein alter, verwirrter Mann, der im Rollstuhl sitzt und mich nicht mehr erkennt.
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