Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Herrin des Labyrints

Die Herrin des Labyrints

Titel: Die Herrin des Labyrints
Autoren: Andrea Schacht
Vom Netzwerk:
Zimmers, als ich durch den Flur schlich.
    »Ist was passiert, Baba?«
    Da ich es mir zur Aufgabe gemacht hatte, Patrick immer die Wahrheit zu sagen, wäre ein beschwichtigendes: »Nein, nein, geh nur wieder schlafen!« jetzt völlig unglaubwürdig gewesen. Also sagte ich ihm, wie die Situation sich darstellte.
    »Nicole hat angerufen. Ich denke, Gita liegt im Sterben. Sie will mich sehen, darum fahre ich zu ihr. Ich weiß nicht, wie lange ich weg bin. Kannst du dir dein Frühstück morgen selbst machen?«
    »Nein, denn ich komme mit. Ich mag Gita.«
    »Aber Patrick, du kannst doch nicht die ganze Nacht …«
    »Aber du, was? Moment, ich bin gleich fertig.«
    Sollte ich es ihm verbieten? Gita war wie eine Großmutter für ihn. Konnte es einem Elfjährigen schaden, wenn er mal eine Nacht ohne Schlaf auskommen musste? Ernsthaft glaubte ich das nicht, und außerdem fand ich einen gewissen Trost darin, ihn bei mir zu haben, wenn ich ganz ehrlich war.
    Wir wurden schon erwartet. Im Haus brannte Licht, und nicole machte uns die Tür auf. Auch Dr. Erman war da und nickte mir freundlich zu.
    »Gehen Sie zu ihr, Amanda. Sie weigert sich, ins Krankenhaus gebracht zu werden. Vielleicht können Sie sie überreden. Oder der junge Mann hier, den sie offensichtlich sehr zu schätzen weiß.«
    »Kann sie denn da wieder gesund werden?«, fragte Patrick zweifelnd.
    Dr. Erman und ich tauschten einen Blick, und er sog lange den Atem ein.
    »Versuchen Sie es, Amanda.«
    Auch er machte sich keine falschen Hoffnungen. »Ja, natürlich. Komm, Patrick.«
    Wir gingen durch die weitläufigen Gänge zu dem ebenerdigen Raum, den man für die alte Dame hergerichtet hatte, seit sie nicht mehr alleine in die oberen Stockwerke gelangen konnte. In dem geräumigen Zimmer war es warm. Zwei wunderschöne Tiffany-Lampen warfen ihr farbig schillerndes Licht auf die Gobelins an den Wänden, und die weiße Gardine bauschte sich leicht vor dem halb geöffneten Fenster. Nur das professionelle Krankenbett passte nicht so recht in die lauschige Atmosphäre. Gita lag in weißen Kissen, blass, mit bläulichen Ringen unter den Augen. Als wir eintraten, hob sie mühsam die Lider und sah zu uns hin. Eine schwache Handbewegung lud uns ein, näher zu treten.
    »Patrick, wie schön, dass du mitgekommen bist«, flüsterte Gita, und mein Sohn, der noch über die spontanen Reaktionen eines Kindes verfügte, ging sofort auf sie zu und streichelte ihre Hand.
    »Natürlich, Oma Gita. Ich kann dich doch nicht so einfach gehen lassen.«
    »Das würde Nandi sich nie trauen zu sagen«, meinte Gita mit einem schwachen Abglanz ihres früheren sarkastischen Lächelns. Ferdinand Halstenberg, ein mehr oder minder erfolgreicher Fernsehproduzent, wurde, obwohl er inzwischen auch Mitte vierzig war, noch immer von allen Nandi gerufen. Er war so ein Typ. Es fiel ihm schwer, der Tatsache ins Gesicht zu sehen, dass seine Mutter im Sterben lag.
    »Ich habe sie alle weggeschickt, Amanda. Ich wollte mit Ihnen alleine sprechen.«
    Patrick erhob sich und machte Anstalten, sich zu entfernen. »Nein, Junge, bleib hier. Ich bin froh, dass du da bist. Ich bin froh, dass du Amandas Kind bist«, flüsterte sie. Dann winkte sie leicht mit der Hand und bat: »Macht noch eine Lampe aus. Mich stört das Licht.«
    So blieben wir dann eine Weile im Halbdunkel des Raumes, in dem die Schatten auf den Gobelins spielten und die Figuren darauf den Eindruck machten, als ob sie tanzen würden. Nur wir saßen ruhig in einem goldenen Kreis von Licht.
    »In der Schublade liegt ein Umschlag, Amanda.«
    Gita war kaum zu verstehen, aber ich bemühte mich, ihre Wünsche zu erfüllen, und nahm den festen Umschlag heraus, auf dem mein Name stand. Ich öffnete ihn und fand darin eine lederne Briefmappe. Als ich sie herauszog, flatterte ein beschriebener Bogen zu Boden. Ich hob ihn auf.
    »Vorlesen, bitte.«
    »Ja, natürlich.«
    Ein wenig hatte ich Probleme, in dem matten Licht Gitas nicht eben leserliche Handschrift zu entziffern. Es war ein Text, den sie schon vor einiger Zeit geschrieben haben musste, denn das Schriftbild war energisch und schwungvoll. Mit gedämpfter Stimme las ich also das vor, was ich für eine seltsame Form der Lebensbeichte hielt:
    »Ich habe kein Unrecht gegen die Menschen begangen, und ich habe keine Tiere misshandelt.
    Ich habe nichts Unrechtes anstelle von Rechtem getan. Ich habe keinen Gott beleidigt, und ich habe nichts getan, was die Götter verabscheuen.
    Ich habe kein Waisenkind um sein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher