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Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit
Autoren: Helmut W. Pesch
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Prohibitorum eingestuft als Ordo II, Sectio IV (ketzerisch, aber harmlos; zu Studienzwecken nach besonderer Erlaubnis freigegeben).

PROLOG
    Als Magister Kimberon Veit das Ende kommen spürte, ging er, wie es seit Jahren seine Gewohnheit war, hinaus auf das kleine Feld, wo in einer Reihe von Hügeln mit verwitterten Steinen die Hüter des Ffolksmuseums bestattet lagen. Die Leute von Aldswick, die sich zuerst die Mäuler gewetzt hatten, nahmen inzwischen keinen Anstoß mehr daran, dass der alte Magister mit der Zeit ein wenig wunderlich geworden war, und es war somit ein vertrauter Anblick, ihn dort bei den Gräbern stehen zu sehen, wie er mit seinem Vorgänger Zwiesprache hielt.
    »Magister Adrion«, sagte er, »Ihr fehlt mir so sehr. Ich spüre, wie meine Kraft nachlässt, und doch kann ich noch nicht den Staub des Irdischen von meinen Füßen schütteln. Denn sonst wird die Geschichte nie weitergehen.«
    Er lauschte in den Wind, aber es kam keine Antwort. Es kam nie Antwort von jenem fernen Ort, wo der Geist Magister Adrions weilen mochte.
    »Was soll ich nur tun?«, flehte Kimberon, und für einen Moment war er wieder jener schüchterne junge Mann, der vor so vielen Jahren auf ein großes Abenteuer ausgezogen war, Hüter einer Macht, von der er damals nur ahnte und auch jetzt wenig wusste.
    Er öffnete die Hand und sah hinab auf den metallenen Ring mit dem schwarzen Stein, der auf seiner Handfläche lag. Der Ring blinkte auf, als der letzte Strahl der Abendsonne ihn traf.
    »Komm mit uns!«, rief die Stimme des Windes. Aber es war nicht der Wind.
    Kim wandte sich um. Vor ihm, unter den winterkahlen Ästen der alten Eiche, die so viele Stürme überdauert hatte, standen drei Gestalten. Einen Augenblick lang schien es, als verschwimme ihre Form, kräusele sich wie Rauch im Wind, dann waren sie plötzlich fest und real, keine Geister, sondern Wesen aus Fleisch und Blut.
    Der eine von ihnen war kleiner als selbst ein Ffolksmann, dafür aber kräftig und stark gebaut. Ein flammend roter Bart fiel ihm auf die Brust, und in seiner Hand trug er eine mächtige Axt mit einer Doppelklinge.
    Der zweite war von mittlerer Größe, geschmeidig wie ein junger Baum. Sein helles Haar wehte ihm um die Schultern. Sein Gesicht war bleich, aber es war keine kränkliche Blässe, sondern die Frische des jungen Tages; seine Brauen waren geschwungen, seine Augen schräg geschnitten, seine Ohren spitz. Er ging in Grün gekleidet und trug eine schmale Klinge, die silbern blitzte.
    Der dritte war hochgewachsen: ein Krieger. Ein schmuckloses Schwert hing an seiner Seite. Doch sein Mantel war aus gutem Tuch und sein Wams aus weichem Leder, mit Nieten gespickt. Gold glänzte an Hals und Handgelenken.
    »Burorin!«, rief Kim aus. »Gilfalas! Und Fabian!« Er öffnete die Arme, um sie willkommen zu heißen, doch dann besann er sich eines anderen. Ein Schatten fiel über sein Gesicht. »Gut, dass ihr endlich kommt. Es wurde auch Zeit.«
    »Kim?« Der Mensch, den er Fabian genannt hatte, trat einen Schritt vor. »Kimberon Veit?«
    »Derselbe, Majestät«, sagte der Magister.
    »Beim Meister«, entfuhr es dem ersten, dem Zwerg. »Was ist mit dir geschehen?«
    »Wir alle werden einmal alt, Bubu.« Kimberon lächelte, doch es war ein trauriges Lächeln. »Ihr kommt zu spät. Ihr müsst zurück, fünfunddreißig Jahre in die Vergangenheit. Und sagt ihm … sagt mir , dass ihr mich getroffen habt. Und dass ich mit euch gehen muss …«
    »Dann kennst du die ganze Geschichte?«, fragte Gilfalas, der Elbe. »Du weißt, wie sie ausgeht?«
    Kim konnte nicht antworten. Die Kehle war ihm wie zugeschnürt.
    »Ja … und nein …« Seine Stimme versagte. Dann setzte er noch einmal an, und es lag darin eine plötzliche wilde Hoffnung, die Hoffnung auf eine letzte Chance, die ihm sein Leben lang versagt geblieben war. »Habt ihr das Buch?«
    »Das Buch?« Fabian runzelte die Stirn. »Du meinst … das Buch?«
    Er griff unter seinen Mantel und förderte einen kleinen Rucksack zu Tage. Als er die Verschnürung löste, kam darin ein fleckiger, ledergebundener Band zum Vorschein, blau, mit metallverstärkten Ecken.
    »Ja, ja!« Gier sprach aus Magister Kimberons Worten. »Gib es mir …!«
    Fabian streckte ihm das Buch hin.
    Der Magister packte es und riss es an sich. Dann wandte er sich um, ohne auch nur einen weiteren Blick für seine Freunde von einst übrig zu haben, die sich schweigend ansahen, ehe sie verblassten, wie ein Bild verblasst, das zu lange in der
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