Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit
Autoren: Helmut W. Pesch
Vom Netzwerk:
erinnerte sich an einen anderen Brief, den er vor wenigen Monaten erst in Händen gehalten hatte, damals, in Gurick-auf-den-Höhen, die letzte Botschaft Magister Adrion Lerchs. Damals war sein geliebter Freund und Mentor bereits tot gewesen. Doch jener Brief hatte den entscheidenden Hinweis enthalten, der die ganzen Pläne der dunklen Mächte ans Tageslicht brachte.
    Und plötzlich hatte Kim wieder ein Gefühl wie in jener schicksalhaften Stunde, als Fabian und er sich entschlossen, das Schicksal des Ffolks in ihre Hände zu nehmen und alles für die letzte, die entscheidende Schlacht vorzubereiten. Es war ein Gefühl, als ob das Rad der Zeit, das stillgestanden hatte, sich jetzt wieder zu drehen begann. Die Geschichte geht weiter, dachte er. Der Weg ist noch nicht zu Ende. Ein neuer Aufbruch, ein neuer Tag, ein Schritt in eine ungewisse Zukunft.
    Er drehte den Brief um. Nicht das Siegel Magister Adrions, die Lerche mit der Feder im Schnabel. Dieser Vogel war von edlerem Geblüt: ein Adler mit ausgebreiteten Schwingen. Die Inschrift, die sich um den Rand zog, zeigte die Kaiserliche Titulatur: Fabians V Alexis Imp. R.
    In Kim keimte ein schlimmer Verdacht. »Wie lange hast du diesen Brief schon?«
    »Nun ja.« Mart Kreuchauff zog die Schultern hoch. »Als ich dann nach Aldswick kam, da gab es so viel zu tun, zu Hause und im Geschäft, und ich musste mich um dieses und jenes kümmern, und der ganze Wiederaufbau der Stadt, du verstehst, und …«
    »Wie lange?«
    »V-vier Wochen?«
    »Vier Wochen?! Du willst mir sagen, du trägst dieses Kaiserliche Sendschreiben seit vier Wochen mit dir herum und hast es schlicht und einfach vergessen?«
    Mart Kreuchauff versuchte sich so klein wie möglich zu machen, was bei seinem Leibesumfang ein ziemlich unmögliches Unterfangen war, und sah so unglücklich drein, dass man fast schon wieder Mitleid mit ihm haben konnte.
    »Jetzt brecht schon das Siegel, Herr Kimberon«, drängte Frau Meta, »damit wir erfahren, was darin steht!«
    Kim verzichtete darauf, sie darauf hinzuweisen, dass der Brief an ihn allein und nicht den ganzen Haushalt gerichtet war; denn ganz gleich, was er tat, der Brief des Kaisers – und die Rolle, die der arme Bürgermeisterkandidat dabei gespielt hatte – würde ohnehin morgen das Stadtgespräch von Aldswick sein. Außerdem war er mindestens ebenso neugierig auf den Inhalt des Schreibens wie Frau Meta.
    Also brach er das Siegel und faltete das Pergament auseinander. Die Handschrift war dieselbe wie auf dem Umschlag, offensichtlich die eines Kanzleischreibers: verschnörkelt, doch gestochen scharf zu lesen:
    F ABIANVS V. A LEXIS
Patris Matrisque gratia et acclamatione exercitus
Humanorum Imperator Rexque futurus ad occasionem
coronationis suæ invitat membrum quodlibet Consilii
Terræ Aldensis ad Kalendas mensis Imprimis in
Urbem Magnæ Aureolis.
    Kim sah die drei anderen entgeistert an. Die starrten ebenso entgeistert zurück, wenn auch aus anderen Gründen.
    »Und was heißt das?«, konnte sich schließlich Mart Kreuchauff nicht enthalten zu fragen.
    »Oh.«
    Kim hatte überhaupt nicht daran gedacht, dass er in der Runde der Einzige war, der die alte Sprache der Gelehrten kannte. »Es ist ein ziemlich komplizierter Satz. Aber es heißt so ungefähr: ›Fabian der Fünfte Alexis‹ – das ist sein Nachname oder so was –, ›durch die Gnade des Vaters und der Mutter und den Zuruf des Heeres der Menschen‹ … nein: ›durch die Ausrufung des Heeres Kaiser der Menschen und künftiger König, lädt aus Anlass seiner Krönung jedwedes Mitglied des Rates von Elderland am ersten Tag des Monats Imprimis in die Stadt Magna Aureolis‹ … äh … ›ein‹. Der Monat Imprimis«, fügte er hinzu, »das ist der erste nach dem Kalender der Menschen, aber der dritte nach unserem Kalender, der, den wir Lenzing nennen.«
    »Aber – der erste Tag des Lenzmonds, das ist in genau vierzehn Tagen!«, sagte Frau Meta.
    »Moment«, sagte Kim, »hier steht noch was.« Die kühne Handschrift war zweifellos die eines anderen Schreibers, und die Botschaft war in der Gemeinsamen Sprache abgefasst: »Aber ich glaube, das ist eher für mich persönlich bestimmt.« Er las es trotzdem vor: »›Lieber Kim: Wenn du kommen kannst, dann mach dich auf die Socken. Allein stehe ich diese endlosen Zeremonien nie durch. Alles Gute, F.‹« Er war sprachlos.
    »Eine Einladung zur Krönung des Königs nach Magna Aureolis!«, staunte Mart Kreuchauff, und Frau Meta fügte hinzu: »Aber wieso
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher