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Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit
Autoren: Helmut W. Pesch
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Gesandtschaft aufbricht, dann gibt es hier noch einiges zu tun.«
    Unter ihren strengen Blicken klopften sie ihre Pfeifen aus und erhoben sich. Kim begleitete seinen Gast zur Tür und half ihm in den Mantel. Dann drückte er dem Kaufherrn stumm die Hand und sah ihm nach, wie er, auf seinen Stock gestützt, zwischen den Häusern verschwand.
    Inzwischen war es schon dämmrig geworden. Die Sonne schwamm als rote, elliptisch verzerrte Scheibe am westlichen Himmel, dort, wo sich jenseits der Tiefebene der Eider mit dem Meer vermählte. Und jenseits dieses Meeres, hinter dem Schattengürtel, lag das Reich der Finsternis.
    Ob auch sie die Sonne sahen, so wie er, die Dunkelelben und ihre Bolg-Knechte. Was sie wohl dabei dachten? Ob sie wohl einen Blick hatten für die Schönheit der Natur, das ewig wechselnde Spiel der Wolken, die zarte Färbung des Himmels von einem dunklen Azur zu einem leuchtenden Gold. Oder dachten sie nur an Flammen und Blut, an Tod und Verderben – die Dunkelelben zumindest; denn er war sich nicht sicher, ob Bolgs überhaupt dachten.
    Vielleicht aber, sagte er sich, lag auch ewige Finsternis über den Ländern des Westens, und die Völker und Wesen, die dort hausten, blickten voll Hass und Begierde auf den blendenden Banngürtel, der sie von den Ländern der bewohnten Welt trennte, den Reichen der Menschen, Elben und Zwerge – und des Ffolks.
    Kim schauderte bei dem Gedanken, wie wenig ihn und das Ffolk von der dunklen Macht trennte, die in den Schatten wohnte. Nur ein Band aus Dunkelheit und Licht, ohne Substanz, gewoben aus Symbolen, das, wie jedes Geflecht, eines Tages eine Schwachstelle zeigen würde, an die ihr Weber nicht gedacht hatte und an der das ganze Gewebe aufreißen und zerfasern und vom Wind der Zeit hinweggefegt werden würde, als wäre es nie gewesen.
    »Herr Kimberon!«, riss ihn eine keifende Stimme aus seinen Träumen. »Was steht Ihr da und haltet Grillen feil? Soll ich als alte Frau etwa selbst auf den Speicher hinaufsteigen und Eure Taschen herunterschleppen? Könnt Ihr mir nicht wenigstens jetzt ein bisschen zur Hand gehen, wenn Ihr Euch sonst schon um nichts kümmert …?«
    »Ich komme, Frau Meta, ich fliege!«, lachte er und eilte in die Küche. In einem Anfall von Überschwang nahm er sie in die Arme und wirbelte sie herum, ehe er sie wieder absetzte. »Ach, es ist schön, dass es wieder fortgeht. Hinaus in die große, weite Welt.«
    Sie sah ihn einen Augenblick mit einer fast mütterlichen Zuneigung an. »Am besten ist es immer noch daheim, wie der selige Gevatter Knopff immer gesagt hat.« Dann runzelt sie die Stirn. »Und jetzt: die Koffer!«
    In dieser Nacht hatte Kim einen Traum.
    Er hatte lange nicht mehr geträumt; nicht jene Art von Träumen, die einem etwas Wahres sagen, auch wenn man es zunächst nicht erkennt. Aber er wusste sofort, dass dies solch eine Art von Traum war, und er bemühte sich, alles genau in sich aufzunehmen, doch während er noch träumte, begannen die Bilder ihm bereits zu entgleiten.
    Das Bild von einem Hang, den er hochkletterte, endlos, bis ihm die Hände bluteten …
    Das Bild von einem blassen, viel zu bleichen Gesicht, umgeben von hellem, schweißnassem Haar, vor schwarzer, verbrannter Erde. Es war jung, so schrecklich jung. Ein Blutfaden lief ihm aus dem Mund …
    Und von der Feste des Feindes, schwarz, mächtig, Mauer um Mauer, Zinne um dreigelappte Zinne, bis zum höchsten Turm. Und auf diesem Turm da stand Einer, und dieser Eine trug etwas in der Hand, etwas, das den Betrachter unwiderstehlich herbeizwang, und wenn er in den Blick dieser Macht geriet, dann würde alles, für das er gekämpft, alles, wofür das ganze Ffolk gelebt und gelitten hatte, vergebens sein, und er wusste, im nächsten Moment würde der Blick ihn treffen, und das feurige Rad in der Finsternis würde ihn zu Asche verbrennen …
    » Herr Kimberon! Um der gütigen Mutter willen, was ist mit Euch. Herr Kimberon! Kim! So wach doch auf!«
    Kim saß schweißgebadet in seinem Bett, die Augen weit aufgerissen. Vor ihm stand mit wogendem Busen Frau Meta im Nachtgewand, eine Kerze in der Hand.
    Kim schüttelte den Kopf. »W-was ist los?« Seine Zunge lag ihm wie ein trockenes Stück Fleisch im Mund. »Was ist geschehen?«
    »Ihr habt geschrien«, sagte sie, wie um dem Offensichtlichen Ausdruck zu geben. »Habt Ihr Fieber?« Sie trat näher und legte ihm die Hand auf die Stirn. »Ihr seid ja eiskalt.«
    »H-habe ich irgendetwas gesagt?«
    Sie schaute ihn misstrauisch an.
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