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Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit
Autoren: Helmut W. Pesch
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»Ihr habt etwas gerufen, etwas von ›dreigelappten Zinnen‹ und von einem ›feurigen Rad in der Finsternis‹.«
    »Ich kann mich an nichts mehr erinnern.«
    Frau Meta runzelte die Brauen, verfolgte das Thema aber nicht weiter. »Jetzt schlaft. Ihr habt morgen eine lange Reise vor Euch.«
    Damit wandte sie sich um und ging mit brennender Kerze hinaus, gleich einem Gespenst, das die armen Hinterbliebenen in Vollmondnächten heimsucht. Als sie die Tür hinter sich schloss, wurde es schlagartig dunkel im Raum.
    Doch Kim konnte nicht mehr schlafen. Der fahle Schein der falschen Dämmerung, die dem richtigen Sonnenaufgang vorausgeht, drang durch die Butzenscheiben der Fenster, und als seine Augen sich an das Zwielicht gewöhnt hatten, schlug er die Decke zurück und stand auf. Er zog sich seinen Schlafrock über, öffnete die Tür zum Korridor und spähte um die Ecke. Von Frau Meta war nichts mehr zu sehen. Vorsichtig, um nur ja kein Geräusch zu verursachen, schlich er die hölzerne Stiege zum Obergeschoss hinauf.
    Die Studierstube lag so da, wie er sie zurückgelassen hatte. Für den uneingeweihten Betrachter sah das alles nach einem einzigen großen Chaos aus, aber für Kim war jeder Gegenstand an seinem Ort. Für das, was er suchte, brauchte er nicht mehr Licht, als ihm zur Verfügung stand. Denn eines hatte er noch zu tun, bevor er aufbrach. Es war keine heilige Handlung, aber eine, die mit sehr vielen schmerzhaften Entscheidungen einherging und die einer sorgfältigen Planung bedurfte.
    Er hatte bereits früher einmal den Fehler gemacht, ohne ein Buch auf die Reise zu gehen. Das sollte ihm diesmal nicht passieren.
    Poch – Poch – Poch!
    Die Schläge dröhnten in der morgendlichen Stille durch das ganze Haus.
    Ein eisiger Schreck durchfuhr Kim. Wenn Frau Meta das hörte, würde sie aufschrecken und zur Tür eilen, und dann gnade der Herr der Untererde dem Unglückseligen, der da Einlass begehrte.
    Er schnappte sich das erstbeste Buch, das ihm in die Finger kam, und raste die Treppe hinunter, wobei er die letzten vier Stufen im Sprung nahm. Keuchend erreichte er die Diele und riss die Haustür auf.
    Der junge Bursche, der vor der Tür stand und gerade erneut dagegen pochen wollte, brachte seine Fingerknöchel eine Handbreit vor Kims Stirn unter Kontrolle.
    »Einen schönen Guten Morgen!«, sagte er fröhlich.
    »M-morgen«, brachte Kim nur entgeistert hervor. Dann dämmerte es ihm. »Du musst Aldo sein, Mart Kreuchauffs Sohn.«
    »Zu Diensten«, sagte der Junge und zupfte an seiner Stirnlocke. Er grinste über beide Wangen, als mache es ihm überhaupt nichts aus, zu so früher Morgenstunde bereits auf den Beinen zu sein. Er hatte die untersetzte Statur seines Vaters, aber die roten Haare und die Sommersprossen konnte er nur von seiner Mutter geerbt haben, ebenso wie die fröhliche Natur. »Ich bin hier, um zu packen.«
    »Zu … packen?« Kim wusste immer noch nicht ganz, wie ihm geschah. »Aber was …?«
    »Nun ja, das hier!«
    Kim blickte sich um. In der Diele sah es aus, als plane jemand einen größeren Umzug. Da stand nicht nur ein großer Lederkoffer mit metallverstärkten Ecken, sondern daneben noch ein schwerer Rucksack, eine Kiste mit allen möglichen Gerätschaften vom Kochgeschirr bis zu einer Handaxt zum Holzhacken, dazu ein riesiger Picknickkorb mit Deckel, aus Weidenruten geflochten, sowie Decken und Mäntel und selbst ein Reisezelt mit Stangen, sorgsam zu einem Bündel verschnürt. Frau Meta hatte offensichtlich noch bis spät in die Nacht gewirkt.
    »Aber wie sollen wir das alles tragen?«, stöhnte Kim.
    »Kein Problem«, erklärte Aldo. »Dafür haben wir Alexis.« Er warf einen Blick über die Schulter. »Komm schon, Alex! Er ist manchmal ein bisschen störrisch, müsst Ihr wissen, aber sonst ein ganz gutmütiger Kerl.«
    In Kims Blickfeld trottete der traurigste Esel, den er je in seinem Leben gesehen hatte. Er zog einen kleinen Wagen hinter sich her, der von einer Plane überdacht war.
    »Die Bolgs haben unsere ganzen Ponys geschlachtet«, fuhr Aldo fort, »aber ihn haben sie übersehen. Und mein Vater meinte, dass er auf der Reise nützlicher wäre, als wenn er immer nur im Stall steht und Hafer frisst.«
    Gevatter Kreuchauff schaffte es anscheinend immer, seinen Vorteil zu finden, selbst wenn er jemandem einen Gefallen tat. Dennoch war Kim froh über das Zugtier und das Gefährt.
    »Und jetzt«, meinte Aldo, »während ich das Gepäck verstaue, wäre eine gute Gelegenheit für Euch, Herr
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