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Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit
Autoren: Helmut W. Pesch
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Sonne gelegen hat.
    Kimberon Veit, dreizehnter Kustos des Ffolksmuseums von Elderland, rannte, so schnell ihn seine alten Beine tragen konnten, in Richtung des hoch aufragenden Museumsbaus. Jetzt hatte er endlich erreicht, wonach er sein Leben lang gesucht hatte. Es gab nur noch eine Pflicht, die er erfüllen musste, ehe er endlich ausruhen konnte von all seinen Mühen. Er musste seinen Nachfolger bestimmen.
    Und diese Wahl würde die feisten Kaufherren von Aldswick gewiss noch mehr schockieren als die letzte.
    Doch um zu erfahren, wie es zu jener schicksalhaften Begegnung im Schatten des Ffolksmuseums von Elderland kam, müssen wir noch weiter zurückgehen, nämlich etwa neunundvierzig Jahre bis zu einem sonnigen Spätwintertag, an dem diese Geschichte ihren Anfang nahm …

K APITEL I
EIN BRIEF DES KAISERS
    Es war an einem wunderschönen sonnigen Tag im Spätwinter des Jahres 778 nach der Zeitrechnung des Ffolks. Auf seinen eigenen Kalender war das Ffolk immer sehr stolz gewesen, rechnete es doch nicht in den Jahren der großen Menschen, die mit der Gründung des Imperiums begannen, sondern nach seiner eigenen Zeit, die ihren Anfang mit dem Beginn seiner Existenz nahm. Denn vor genau siebenhundertachtundsiebzig Jahren war das Ffolk auf dem Steig, dem hohen Pass im Sichelgebirge, erschienen und hatte von dort auf das Land zu seinen Füßen geblickt. Woher diese Siedler kamen und wo sie zuvor gelebt hatten, hatte niemand von den Gelehrten je ergründen können, und selbst unter den Ffolksleuten wusste keiner davon – keiner, heißt das, bis auf einen, und der auch erst seit kurzer Zeit.
    Kimberon Veit, dreizehnter Kustos des Ffolksmuseums von Elderland, legte die angeschrägte Gänsefeder beiseite und schloss den Folianten, in den er mit seiner feinen, peniblen Schrift Zeile um Zeile eingetragen hatte. Der schmucklose Ledereinband ließ nicht vermuten, was sich darunter verbarg, doch Kimberon wusste genau, was das Thema des Buches war, denn er hatte es, diesmal in kühnen, geschwungenen Lettern, auf der ersten Seite eingetragen:
    E P LVRIBVS P OPVLES
Sive
Historia Gentis Minoris Ab Initiis
    Dissertatio Inauguralis
In Gradum Magistri Artium
Universitatis Altæ Thurionis
Exhibita
    De Cimberono Vito
Aldovicense
    Was nichts anderes besagte als ›Aus vielen ein Ffolk, oder: Geschichte des Kleinen Volkes von den Anfängen. Eine Abhandlung zur Einsichtnahme für den Grad des Magister Artium der Universität von Allathurion, vorgelegt von Kimberon Veit aus Aldswick‹. Kim hatte sich anfangs gefragt, ob er mit der Niederschrift des Titelblatts nicht warten sollte, bis er auch die anderen neunundneunzig Seiten mit Text gefüllt hätte, aber die Versuchung war zu groß gewesen. Zugegeben, es sah ein bisschen übertrieben aus. Aber es gab ihm eine Hoffnung auf das, was mit der Zeit noch kommen würde.
    Es war ein großes Unterfangen: seine Magisterarbeit, die er nach Vollendung dem Hohen Konvent der Universität von Allathurion vorzulegen gedachte, um sie sodann in einem Examen Rigorosum gegen alle wohlwollenden und übel meinenden Kritiker zu verteidigen. Doch an manchen Tagen wie heute, wenn die Zeit stillzustehen schien, hatte er das Gefühl, dass er dieses Werk nie zu Ende bringen würde. So wenig hatte er erst geschrieben; so viel galt es noch zu erforschen.
    Kim seufzte. Das Licht der Spätnachmittagssonne, bereits rötlich gefärbt von den Wolkenschleiern, die nach Westen, in Richtung Meer, davongezogen waren, fiel schräg durch die bunt gefärbten Butzenscheiben der Fenster. Staubteilchen tanzten darin. Es gibt überall Staub, wo es Bücher gibt, und hier, in der Studierstube des Kustos im Obergeschoss des Ffolksmuseums, waren die Wände gesäumt von Regalen, auf denen sich alles Mögliche an Schriftstücken türmte: schweinslederne Hauptbücher und Registerbände, abgewetzt und speckig, aber auch punzierte Folianten mit Goldschnitt; Konvolute, zwischen Holzdeckel gepresst und mit Leinen verschnürt; Schriftrollen in Tuch- oder Ledersäcken; Dokumente in Tubae, seit Jahrhunderten versiegelt; Quart- und Oktavhefte aus Zeiten der Not, wenn das Pergament knapp war, und großformatige Mappen. Bücher häuften sich zu Stapeln auf dem Boden, dass sich die Dielen bogen, dienten hier als Stütze für das fehlende Bein eines Lesepults, dort als Beschwerer für ausgerollte Landkarten.
    So viele Bücher, so wenig Zeit! Doch bei näherer Betrachtung erwies sich ein großer Teil davon als entbehrlich; manches Buch war seit
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