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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter
Autoren: Oliver P�tzsch
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dass Matthias Augustin während des Maifestes verschwunden war, hatte er keinen Gedanken an dessen Sohn verschwendet, sondern war schnurstracks ins Haus der Augustins geeilt. Der junge Patrizier musste ihm heimlich gefolgt sein. Jetzt befand sich sein parfümierter, gut frisierter Haarschopf direkt auf Höhe von Simons Gesicht. Georg Augustin sah ihm direkt in die Augen.
    »Das war ein Fehler«, zischte er. »Ein verdammter Fehler, Quacksalber! Du hättest einfach dein Maul halten und deine Henkersdirne vögeln sollen. Ist doch ein so schönes Fest da draußen. Aber nein, du musst ja Ärger machen ... «
    Er streichelte mit dem Degen Simons Kinn. Im Hintergrund konnte der Medicus den alten Augustin stöhnen hören. Als er den Kopf dorthin wendete, sah er den Greis neben dem Tisch auf dem Boden liegen. Seine Hände krallten sich in die Bohlen aus Kirschholz; der ganze Körper zuckte in Krämpfen. Georg blickte nur kurz hinüber, bevor er sich wieder Simon zuwendete.
    »Mein Vater wird uns nicht weiter belasten«, sagte er beiläufig. »Ich kenne diese Anfälle mittlerweile. Die Schmerzen steigern sich ins Unermessliche, aber sie hören auch wieder auf. Wenn sie schließlich nachlassen, ist er eine leere Hülle. Viel zu erschöpft, um irgendetwas zu unternehmen. Er wird einschlafen, und wenn er wieder aufwacht, wird von dir nichts mehr übrig sein.«
    Mit dem Degen fuhr der Patrizier langsam über Simons Kehle. Simon versuchte zu schreien, doch der Knebelrutschte dadurch nur noch tiefer in seinen Rachen. Er bekam Erstickungskrämpfe. Nur mühsam gelang es ihm, sich wieder zu beruhigen.
    »Weißt du«, flüsterte der junge Augustin. Wieder beugte er sich zu Simon hinunter, sodass der Duft teuren Parfüms zu ihm hinüberwehte. »Zuerst hab ich geflucht, als ich dich zu meinem Vater hatte gehen sehen. Ich dachte, das wäre das Ende. Aber jetzt ergeben sich, nun ja ... ganz ungeahnte Möglichkeiten.«
    Er ging hinüber zum Kamin, in dem ein kleines Feuer flackerte, und griff nach dem Schürhaken. Die Spitze leuchtete glühend rot. Er hielt sie direkt vor Simons Wange, so dass der Medicus die Hitze spüren konnte. Mit einem süffisanten Lächeln sprach er weiter.
    »Als wir unten in der Fronfeste dem Henker beim Foltern zusehen durften, da hab ich gemerkt, dass mir das Spaß machen könnte. Die Schreie, das dampfende Fleisch, die flehenden Blicke ... Nur war die Hexe nicht so ganz mein Geschmack, aber du ... «
    Mit einer schnellen Bewegung führte er den Schürhaken nach unten und drückte ihn fest auf Simons Pluderhose. Die Glut fraß sich durch den Stoff, bis sie zischend auf den Oberschenkel traf. Simon traten die Tränen in die Augen. Er heulte laut auf, doch durch den Knebel drang nicht mehr als ein dumpfes Seufzen. Hilflos warf er sich auf dem Stuhl hin und her. Endlich nahm Augustin den Schürhaken weg und sah ihm kalt lächelnd in die Augen.
    »Die schöne Pluderhose ... Oder ist das schon die neueste Mode, diese, wie sagt man, Rheingrafenhose? Wirklich schade drum. Du bist zwar ein Großmaul, aber wenigstens verstehst du etwas von Stil. Ist mir ein Rätsel, wie ein dahergelaufener Feldscher an solche Stücke kommt. Aber nun Spaß beiseite ... «
    Er nahm den anderen Lehnstuhl und setzte sich mit der Lehne nach vorne Simon gegenüber.
    »Das gerade eben war nur ein Vorgeschmack auf die Schmerzen, die du noch empfangen wirst. Es sei denn ... « Er deutete mit dem Schürhaken auf Simons Brust. »Es sei denn, du sagst mir, wo der Schatz ist. Spuck’s lieber gleich aus. Früher oder später wirst du es mir doch sagen müssen.«
    Simon schüttelte wild den Kopf. Selbst wenn er gewollt hätte, er wusste es nicht. Er hatte zwar die Vermutung, dass der Henker den Schatz gefunden hatte. Schließlich hatte Kuisl heute tagsüber die eine oder andere Andeutung gemacht. Aber sicher war er sich nicht.
    Georg Augustin deutete sein Kopfschütteln als Weigerung. Bedauernd erhob er sich und ging hinüber zum Kamin.
    »Schade«, sagte er. »Dann wird wohl auch das schöne Wams dran glauben müssen. Wer ist eigentlich dein Schneider, Quacksalber? Sicher kein Schongauer, nicht wahr?«
    Der junge Patrizier hielt den Schürhaken ins Feuer und wartete, bis er wieder rot wurde. Währenddessen hörte Simon von draußen Musik und Gelächter. Das Fest war nur wenige Schritte entfernt, aber alles, was aufmerksame Bürger von außen hätten sehen können, war ein hell erleuchtetes Fenster und ein Mann, der mit dem Rücken zum Fenster auf einem
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