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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter
Autoren: Oliver P�tzsch
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Feldscher, der sein Fähnchen nach dem Wind hängt! Purgieren und an Pisse riechen, das ist alles, was du kannst!«
    Der Schlag traf ihn hart auf der Wange. Sein Vater stand kalkweiß vor ihm, die Hand noch erhoben. Simon spürte, dass er zu weit gegangen war. Bevor er sich entschuldigen konnte, hatte sich Bonifaz Fronwieser weggedreht und war in der Dunkelheit verschwunden.
    »Vater!«, rief er ihm hinterher. Doch die Musik setzte wieder ein, die Pärchen drehten sich weiter. Simon blickte zu Magdalena, die den Kopf schüttelte.
    »Das hättest du nicht tun sollen«, sagte sie. »Er ist immerhin dein Vater. Meiner hätte dir dafür den Kopf abgeschlagen.«
    »Hat denn hier jeder an mir was auszusetzen?«, murmelte Simon. Der kurze Moment zwischen ihm und Magdalena war erloschen. Er wandte sich ab und ließ sie auf der Tanzfläche stehen. Er brauchte jetzt einen Humpen Maibier.
    Auf dem Weg hinüber zum aufgebockten Bierfass kam er an dem Tisch der Ratsherren vorbei. In trauter Einigkeit saßen dort die Patrizier, Semer, Holzhofer, Augustin und Püchner. Der Landgraf war hinüber zu seinen Soldaten gegangen, um nach dem Rechten zu sehen. Endlich hatten die Patrizier nun Gelegenheit, über die nächsten Tage und Wochen zu reden. Besorgt steckten sie die Köpfe zusammen. Der Schreiber Johann Lechner saß wie ein Fels zwischen ihnen und hing seinen eigenen Gedanken nach.
    Simon hielt inne und blickte von seinem Standort im Dunkeln auf die Szene vor ihm.
    Sie erinnerte ihn an etwas.
    Die vier Patrizier. Der Schreiber. Der Tisch …
    Sein Kopf war erhitzt vom Tanzen. Die Anstrengung der letzten Nacht lag ihm noch in den Knochen. Er hatte zu Hause bereits zwei Humpen Bier getrunken. So brauchte er einen Moment, bis es ihm einfiel.
    Aber dann hatte er das Gefühl, als würde sich ein Mosaikstein in die letzte Lücke eines Bildes schieben.
    Sie hatten einfach nicht richtig zugehört.
    Zögernd wandte sich Simon ab. An einem Tisch weiter hinten sah er den Pfarrer allein sitzen und von fern die Tanzenden beobachten. Sein Gesichtsausdruck changierte zwischen Ablehnung und Entspannung. Als geistlicher Vertreter konnte er das wilde, heidnische Treiben natürlich nicht gutheißen. Doch auch er genoss sichtlich die warme Nacht, die flackernden Feuer und die treibende Musik. Simon begab sich zu ihm hinüber und setzte sich ohne Aufforderung neben ihn. Der Pfarrer blickte ihn erstaunt an.
    »Mein Sohn, du willst doch nicht jetzt zur Beichte kommen?«, fragte er. »Allerdings ... Wie ich eben sehen konnte, hättest du es durchaus nötig.«
    Simon schüttelte den Kopf.
    »Nein, Hochwürden«, sagte er. »Ich brauche eine Auskunft. Ich glaube, ich habe das letzte Mal nur nicht richtig hingehört.«
    Nach einem kurzen Gespräch stand Simon wieder auf und ging nachdenklich zurück zu den Tanzenden. Auf seinem Weg kam er noch einmal am Tisch der Ratsherren vorbei. Abrupt hielt er inne.
    Ein Platz war jetzt leer.
    Ohne weiter zu überlegen, eilte er auf ein Haus am Rande des Marktplatzes zu. Das Lachen und die Musik wurden leiser. Er hatte genug gehört.
    Jetzt musste er handeln.
     
    Der Mann saß in einem mit Samt bezogenen, schweren Lehnstuhl und blickte hinaus aus dem Fenster. Auf dem Tisch vor ihm standen eine Schüssel Walnüsse und ein Krug mit Wasser. Andere Speisen vertrug er nicht mehr. Das Atmen fiel ihm schwer, Schmerzen durchzuckten seinen Unterleib. Von draußen wehte der Lärm des Festes herein. Die zugezogenen Vorhänge ließen einen Spalt frei, sodass der Mann das Treiben unten hätte beobachten können. Doch seine Augen waren nicht mehr gut; Feuer und Tanzende verschwammen zu einem verschmierten Bild ohne Konturen. Seine Ohren hingegen funktionierten noch ausgezeichnet, und so hörte er das Tapsen der Schuhe hinter sich, auch wenn sich der Eindringling Mühe gab, unbemerkt den Raum zu betreten.
    »Ich habe dich erwartet, Simon Fronwieser«, sagte er, ohne sich umzudrehen. »Du bist ein neugieriger, kleiner Besserwisser. Ich war damals schon dagegen, dass du mit deinem Vater das Bürgerrecht bekommst, und ich habe recht behalten. Du bringst nichts als Unfrieden in unsere Stadt.«
    »Unfrieden?« Simon gab sich nun keine Mühe mehr, leise zu sein. Mit schnellen Schritten eilte er auf den Tisch zu, während er weitersprach. »Wer hat Unfrieden in diese Stadt gebracht? Wer hat die Söldner beauftragt, kleine Kinder umzubringen, die zu viel gesehen haben? Wer hat den Stadl anzünden lassen? Wer hat dafür gesorgt, dass Angst
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