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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter
Autoren: Oliver P�tzsch
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Stechlin würde spätestens in ein paar Wochen brennen, und er, Jakob Kuisl, war es, der sie auf den Scheiterhaufen führen musste.
     
    Als Simon zum Marktplatz kam, war das Fest bereits in vollem Gange. Die letzten Stunden hatte er sich zu Hause ausgeruht, jetzt wollte er Magdalena wiedersehen. Auf der Suche nach ihr ließ er seinen Blick über den Platz schweifen.
    Pärchen hatten sich untergehakt und tanzten um den Maibaum herum. Wein und Bier flossen aus vollen Krügen. Die ersten betrunkenen Soldaten torkelten abseits der Feuer oder rannten kreischenden Mägden hinterher. Am Tisch der Ratsherren saß der Landgraf und war offensichtlich bester Stimmung. Johann Lechner schien ihm gerade eine gute Anekdote erzählt zu haben. Der Schreiber wusste, wie man die hohen Herren bei Laune hielt. Man amüsierte sich köstlich. Selbst der Pfarrer saß ein wenig abseits dabei und nippte gelassen an einem Schoppen Roten.
    Simon blickte hinüber zur Bühne. Die Spielleute fiedelteneinen Landler, der schneller und schneller wurde, bis die ersten Tanzenden lachend zu Boden gingen. Das Kreischen von Frauen und das tiefe Gelächter der Männer mischte sich mit der Musik und dem Becherklirren zu einem einzigen monotonen Geräusch, das in den sternenklaren Nachthimmel aufstieg.
    Als Simon heute früh, am Ende einer langen Nacht, aus dem Schrazelloch gestiegen war, hatte er geglaubt, dass nichts wieder so werden würde wie bisher. Doch er hatte sich getäuscht. Das Leben ging weiter, zumindest eine Weile lang.
    Jakob Schreevogl hatte Clara und vorübergehend auch Sophie in seine Obhut genommen. Der Rat hatte beschlossen, die Kinder erst morgen zu verhören. Bis dahin musste Simon sich mit dem jungen Patrizier überlegen, was sie den Ratsherren sagen sollten. Die Wahrheit? Aber lieferten sie die Mädchen damit nicht ans Messer? Kinder, die mit Zauberei spielten, konnten ebenso gut auf dem Scheiterhaufen landen wie Erwachsene. Das wusste Simon aus früheren Prozessen, von denen er gehört hatte. Wahrscheinlich würde der Landgraf die Kinder so lange verhören, bis sie ihm die Hebamme als Hexe nannten. Und noch viele andere Hexen dazu …
    »Na, was ist? Magst tanzen?«
    Aufgeschreckt von seinen düsteren Gedanken fuhr Simon herum. Vor ihm stand lächelnd Magdalena. Sie hatte einen Verband um die Stirn geschlungen, ansonsten sah sie erholt und gesund aus. Der Medicus musste schmunzeln. Noch diesen Morgen war das Henkersmädchen vor zwei Söldnern geflohen. Zwei Nächte des Schreckens und der Ohnmacht lagen hinter ihr, und trotzdem forderte sie ihn jetzt zum Tanzen auf. Sie schien unverwüstlich zu sein. Genauso wie ihr Vater, dachte Simon.
    »Magdalena, du solltest dich ausruhen«, begann er. »Außerdem, die Leut ...« Er deutete zu den Tischen, wo die ersten Mägde das Tuscheln anfingen und zu ihnen herüberzeigten.
    »Ach, die Leut«, unterbrach ihn Magdalena. »Was kümmern mich die Leut? «
    Sie fasste ihn unter den Armen und zog ihn auf den Tanzboden, der vor der Bühne aufgebaut war. Eng umschlungen tanzten sie zu einem langsamen Zwiefachen. Simon spürte, wie die anderen Tanzpaare vor ihnen zurückwichen, aber das war ihm gerade egal. Er sah Magdalena in die dunklen Augen und schien darin zu versinken. Alles um ihn herum verschwamm zu einem Lichtermeer mit ihnen im Mittelpunkt. Sorgen und düstere Gedanken waren fern, er sah nur noch ihre lachenden Augen. Langsam näherte er sich ihren Lippen.
    Plötzlich erblickte er einen Schemen aus dem Augenwinkel heraus. Es war sein Vater, der auf ihn zueilte. Bonifaz Fronwieser packte seinen Sohn hart an der Schulter und drehte ihn zu sich her.
    »Wie kannst du es wagen?«, zischte er. »Siehst nicht, wie sich die Leut das Maul zerreißen? Der Medicus mit der Henkersdirne ...! Was für ein Witz!«
    Simon riss sich los.
    »Vater, ich bitt dich ...«, versuchte er ihn zu beruhigen.
    »Nichts da«, blaffte sein Vater und zog ihn ein Stück von der Tanzfläche, ohne Magdalena auch nur eines Blickes zu würdigen. »Ich befehle dir ... «
    Plötzlich schien eine schwarze Welle über Simon hinwegzuschwappen. Die Strapazen der letzten Tage, die Todesangst, die Sorge um Magdalena. Heftig stieß er seinen Vater von sich, so dass dieser erstaunt nach Luft schnappte. Im gleichen Moment hörte die Musik auf, sodass seine Worte für alle Umstehenden gut zu verstehen waren.
    »Du hast mir nichts zu befehlen! Du nicht!«, keuchte er , vom Tanz noch außer Atem. »Was bist du schon? Ein kleiner, windiger
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