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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter
Autoren: Oliver P�tzsch
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blutige Nasen verbinden müssen. Es hatte Geldstrafen gehagelt. Doch der Hass zwischen den Augsburger und Schongauer Fuhrleuten war dadurch nur größer geworden. Laut eines alten herzoglichen Erlasses durften die Augsburger ihre Waren aus Venedig oder Florenz nur bis Schongau befördern; danach waren die Schongauer zuständig. Ein Transportmonopol, das den Augsburgern schon lange ein Dorn im Auge war.
    Sachte zog Simon den weinenden Vater zur Seite, der von einigen seiner Freunde aus der Fuhrmannszunft in Empfang genommen wurde. Dann beugte er sich über den Jungen.
    Bisher hatte sich noch niemand die Mühe gemacht, sein nasses Hemd zu entfernen. Simon riss es auf, darunter kam eine Kraterlandschaft von Stichen zum Vorschein. Jemand musste wie wild auf den Jungen eingestochen haben. Am Hinterkopf war eine frische, große Platzwunde zu erkennen, aus der helles Blut sickerte. Simon vermutete, dass der Junge im Wasser zwischen die Baumstämme geraten war. Sein Gesicht war grün und blau geschlagen,aber auch das konnte beim Zusammenprall mit den Stämmen passiert sein. Die Baumriesen entfalteten im Wasser eine tödliche Kraft und konnten einen Menschen zerquetschen wie eine faule Frucht.
    Simon horchte am Herz des Jungen. Dann nahm er einen kleinen Spiegel und hielt ihn unter die blutige, gebrochene Nase. Kein Atemhauch war zu sehen. Die Augen des Jungen standen weit offen. Peter Grimmer war tot.
    Simon wandte sich an die Umstehenden, die sein Tun schweigend beobachteten. »Ein nasses Tuch«, bat er.
    Eine Frau reichte ihm ein Stück Leinen. Simon tränkte es im Lech und fuhr dem Jungen damit über die Brust. Als er das Blut weggewaschen hatte, zählte er sieben Einstiche, alle um das Herz herum gelegen. Trotz der tödlichen Wunden war der Junge nicht schnell gestorben. Der Gerber Gabriel hatte Simon auf dem Weg hinunter zur Floßlände erzählt, dass er bis vor kurzem noch vor sich hingemurmelt hatte.
    Simon drehte den Jungen um. Mit einem kräftigen Reißen trennte er auch hier das Hemd auf. Durch die Menge ging ein Stöhnen.
    Unterhalb des Schulterblatts befand sich ein handtellergroßes Mal, wie es Simon noch nie gesehen hatte. Es war mit violetter Farbe geschrieben und zeigte einen verwischten Kreis, aus dessen unterem Ende ein Kreuz ragte.
     
     
     
    Für einen Augenblick war es ganz still auf dem Steg. Dann fingen die Ersten zu schreien an. »Hexerei, da ist Hexerei am Werk!« Jemand brüllte: »Die Hexen sind zurück in Schongau! Sie holen unsere Kinder!«
    Simon fuhr mit den Fingern über das Mal, es ließ sich nicht wegwischen. An irgendetwas erinnerte es ihn, docher konnte nicht sagen, an was. Mit seiner dunklen Farbe sah es aus wie die Signatur eines Dämons.
    Josef Grimmer, der sich bislang auf einige Freunde gestützt hatte, wankte auf die Leiche seines Sohnes zu. Kurz betrachtete er das Zeichen, als könnte er nicht glauben, was er dort sah. Dann rief er in die Runde: »Das hat er von der Stechlin! Die Hebamme, diese Hexe, hat ihm das aufgemalt! Die hat ihn umgebracht!«
    Simon fiel ein, dass er den Jungen tatsächlich in letzter Zeit öfter bei der Hebamme gesehen hatte. Martha Stechlin wohnte direkt neben den Grimmers oben beim Kuehtor. Seitdem Agnes Grimmer im Kindbett gestorben war, hatte der Bub öfter bei ihr Trost gesucht. Sein Vater hatte der Stechlin nie verziehen, dass die Hebamme die Blutungen nicht hatte stoppen können. Er gab ihr eine Mitschuld am Tod seiner Frau.
    »Ruhe! Es heißt doch gar nicht, dass ... «
    Der Medicus versuchte gegen das Wüten und Schreien der Schongauer anzubrüllen, ohne Erfolg. Wie ein Lauffeuer ging der Name Stechlin über den Steg, schon rannten die Ersten über die Brücke hoch zur Stadt. »Die Stechlin! Die Stechlin war’s! Lauft zum Büttel, der soll sie sich holen!«
    Nach kurzer Zeit lag der Steg verlassen da, bis auf Simon und den toten Jungen. Selbst Josef Grimmer war in seinem Hass mit den anderen nach oben geeilt. Nur das Rauschen des Flusses war noch zu hören.
    Seufzend wickelte Simon den Körper in ein schmutziges Leinentuch, das die Waschfrauen in der Eile liegen gelassen hatten, und hob sich das Bündel auf die Schultern. Keuchend und mit krummem Rücken machte er sich auf den Weg hinauf zum Lechtor. Er wusste, dass ihm jetzt nur noch einer helfen konnte.

2
    Dienstag,
    den 24. April Anno Domini 1659,
    9 Uhr morgens
     
    M artha Stechlin stand in ihrer Stube und tauchte die blutverschmierten Finger in eine Schüssel mit warmem Wasser. Ihre Haare
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