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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter
Autoren: Oliver P�tzsch
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dem Tisch neben den Äpfeln glitzerte etwas! Während dieHebamme mit ihrem kräftigen Leib die Tür zuhielt, hangelte sie, fast blind vor Schweiß und Blut, nach dem Schlüssel auf dem Tisch. Endlich hatte sie ihn in der Hand und drehte ihn im Schloss um, quietschend rastete der Riegel ein.
    Das Drücken von draußen hörte plötzlich auf, nur um Sekunden später in ein mächtiges Hämmern überzugehen. Offenbar schlugen die Männer jetzt mit einem schweren Balken gegen die Tür. Schon bald splitterte das dünne Holz, ein behaarter Arm tauchte in der Öffnung auf und tastete nach ihr.
    »Stechlin, Hexe, komm raus, sonst zünden wir das Haus an!«
    Durch die zerborstene Türe konnte die Hebamme die Männer draußen erkennen. Es waren Flößer und Fuhrleute, viele von ihnen kannte sie beim Namen. Die meisten waren die Väter von Kindern, die sie auf die Welt gebracht hatte. Jetzt hatten ihre Augen den Glanz von Tieren, sie schwitzten und schrien und hämmerten gegen Tür und Wände. Martha Stechlin blickte um sich wie ein gehetztes Wild.
    Ein Fensterladen splitterte. Herein tauchte der massige Schädel von Josef Grimmer, ihrem Nachbarn. Martha wusste, dass er ihr den Tod seiner Frau nie verziehen hatte. War das der Grund für den Aufruhr? Grimmers Hand schwang ein Stück der Fensterluke mit Nägeln daran.
    »Ich bring dich um, Stechlin! Bevor sie dich verbrennen, bring ich dich um! «
    Martha rannte zur hinteren Türe. Dort ging es hinaus in einen kleinen Kräutergarten, der direkt an die Stadtmauer grenzte. Im Garten merkte sie, dass sie in eine Sackgasse gelaufen war. Links und rechts ragten die Häuser bis an die Stadtmauer heran. Die Mauer selbst war bis zumWehrgang gute zehn Fuß hoch, zu hoch, um die Mauerkrone zu erreichen.
    Direkt an der Mauer stand ein kleines Apfelbäumchen. Martha Stechlin eilte darauf zu und kletterte in die Äste. Von ganz oben konnte sie sich vielleicht auf den Wehrgang flüchten.
    Vom Haus der Hebamme war jetzt erneut das Splittern von Glas zu hören, dann wurde die Tür zum Garten aufgestoßen. Im Türrahmen stand keuchend Josef Grimmer, immer noch mit der nagelgespickten Latte in der Hand. Hinter ihm drängten andere Fuhrleute in den Garten.
    Wie eine Katze kletterte Martha Stechlin am Apfelbaum hinauf, höher und höher, bis die Zweige so dünn wie Kinderfinger waren. Sie fasste den Rand der Mauer und versuchte den rettenden Wehrgang zu erreichen.
    Es knackste.
    Die Hebamme rutschte mit blutenden Fingerkuppen an der Mauer nach unten und blieb im nassen Gemüsebeet liegen. Josef Grimmer kam auf sie zu und hob die Holzlatte, bereit zum tödlichen Schlag.
    »Das würd ich nicht tun.«
    Der Fuhrmann blickte nach oben, dorthin, woher die Stimme gekommen war. Auf dem Wehrgang, direkt über ihm, stand eine massige Gestalt. Sie trug einen langen, löchrigen Mantel; auf dem Kopf thronte ein Schlapphut mit breiter Krempe, an dem ein paar zerfranste Federn steckten. Darunter befanden sich eine schwarze, ungekämmte Mähne und ein Vollbart, der schon lange keinen Barbier mehr gesehen hatte. Der Wehrgang warf einen Schatten, so dass vom eigentlichen Gesicht außer einer gewaltigen Hakennase und einer langen Stielpfeife nicht viel zu sehen war.
    Der Mann hatte gesprochen, ohne die Pfeife aus demMund zu nehmen. Jetzt hielt er sie in der Hand und deutete auf die Hebamme, die keuchend an der Mauer unter ihm kauerte.
    »Wennst die Martha erschlägst, kommt deine Frau auch nicht wieder zurück. Mach dich nicht unglücklich.«
    »Halt’s Maul, Kuisl! Das geht dich nichts an! «
    Josef Grimmer hatte sich wieder im Griff. Wie alle anderen, war er zunächst verblüfft gewesen, wie der Mann sich dort oben hatte nähern können, ohne dass sie es bemerkt hatten. Doch der Moment war vorübergegangen. Jetzt wollte er Rache nehmen und keiner würde ihn daran hindern. Mit der Holzlatte in der Hand ging er langsam auf die Hebamme zu.
    »Das ist Mord, Grimmer«, sagte der Mann mit der Pfeife. »Wennst jetzt zuschlägst, werd ich dir mit Freuden den Strick umlegen. Und ich versprech dir, es wird lange dauern.«
    Josef Grimmer hielt inne. Zögernd wandte er sich zu seinen Begleitern um, die offenbar ebenso unschlüssig waren wie er selbst.
    »Sie hat meinen Sohn auf dem Gewissen, Kuisl«, sagte Grimmer. »Kannst selbst unten am Lech schauen. Verzaubert hat sie ihn und dann auf ihn eingestochen. Ein Teufelszeichen hat sie ihm aufgemalt.«
    »Wenn’s so ist, warum bist dann nicht bei deinem Sohn und schickst den
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