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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter
Autoren: Oliver P�tzsch
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Büttel nach der Martha?«
    Mit einem Schlag wurde Josef Grimmer bewusst, dass sein toter Sohn tatsächlich immer noch unten am Fluss sein musste. In seinem Hass hatte er ihn einfach liegen lassen und war den anderen hinterhergeeilt. Tränen stiegen ihm in die Augen.
    Mit einer Behändigkeit, die man ihm nicht zugetraut hätte, kletterte der Mann mit der Pfeife im Mund über dieBrüstung des Wehrgangs und sprang in den Kräutergarten. Er überragte die Anwesenden um gut einen Kopf. Der Riese beugte sich zu Martha Stechlin hinunter. Ganz nah über sich konnte sie sein Gesicht jetzt sehen, die Hakennase, Falten wie Ackerfurchen, buschige Augenbrauen und tiefliegende, braune Augen. Die Augen des Henkers.
    »Du wirst jetzt mit mir mitkommen«, flüsterte Jakob Kuisl. »Wir werden zum Gerichtsschreiber gehen, und der wird dich einsperren. Das ist für dich zurzeit am sichersten. Hast du verstanden?«
    Martha nickte. Die Stimme des Henkers war weich und melodiös, sie beruhigte sie.
    Die Hebamme kannte Jakob Kuisl gut, sie hatte seine Kinder zur Welt gebracht, die toten und die lebenden … Meist hatte der Scharfrichter dabei selbst mit angepackt. Gelegentlich kaufte sie bei ihm Tränke und Umschläge gegen ausbleibende Blutungen und unwillkommene Kinderlein. Sie kannte ihn als treusorgenden Vater, der vor allem in seine jüngsten Kinder, die Zwillinge, vernarrt war. Sie hatte aber auch gesehen, wie er Männern und Frauen den Strick um den Hals legte und die Leiter wegzog. Und jetzt wird er mich hängen, dachte sie. Aber vorher rettet er mich.
    Jakob Kuisl half ihr auf, dann blickte er erwartungsvoll in die Runde. »Ich werd die Martha jetzt in die Fronfeste bringen«, sagte er. »Wenn sie wirklich etwas mit dem Tod vom Grimmersohn zu tun hat, wird sie ihre gerechte Strafe bekommen, das versprech ich euch. Aber bis dahin lasst ihr sie in Ruhe.«
    Ohne ein weiteres Wort packte der Henker Martha Stechlin am Genick und schob sie mitten durch die Gruppe der schweigenden Flößer und Fuhrleute. Die Hebammewar sich sicher, dass er seine Drohung wahr machen würde.
     
    Simon Fronwieser keuchte und fluchte. Er merkte, wie sein Rücken langsam feucht wurde. Es war kein Schweiß, den er dort spürte, sondern Blut, das durch das Laken durchgesickert war. Den Rock würde er später umnähen müssen, die Flecken waren auf dem schwarzen Stoff zu deutlich zu erkennen. Außerdem wurde das Bündel auf seinen Schultern von Schritt zu Schritt schwerer.
    Simon war mit seiner sperrigen Last über die Lechbrücke gegangen und nach rechts ins Gerberviertel abgebogen. Als der Medicus die engen Gassen betrat, roch er sofort den beißenden Gestank von Urin und Verwesung, der über allem hing. Er hielt den Atem an und stapfte an mannshohen Stangen vorbei, zwischen denen Lederlappen zum Trocknen aufgehängt waren. Auch an den Balkonbrüstungen hingen halbgegerbte Tierfelle und verbreiteten ihren ätzenden Geruch. Neugierig blickten ein paar Gerbergesellen auf Simon und sein blutbeflecktes Bündel herunter. Für sie musste es so aussehen, als ob er ein geschlachtetes Lamm zum Henker brächte.
    Endlich hatte er die Gassen hinter sich gelassen und ging links den Pfad hoch zum Entenweiher. Hier stand neben zwei schattigen Eichen das Haus des Scharfrichters. Mit seinem Stall, dem großen Garten und dem Schuppen für das Fuhrwerk war es ein durchaus ansehnliches Anwesen. Nicht ohne Neid blickte sich der Medicus um. Die Scharfrichterei galt zwar als ein unehrlicher Beruf, aber trotzdem konnte man es zu etwas bringen.
    Simon öffnete das frisch gestrichene Tor und betrat den Garten. Jetzt im April blühten bereits die ersten Blumen, überall sprossen duftende Kräuter hervor. Beifuß, Minze,Melisse, Weinraute, Quendel, Salbei ... Der Schongauer Scharfrichter war bekannt für seinen reichhaltigen Kräutergarten.
    »Onkel Simon, Onkel Simon! «
    Die beiden Zwillinge Georg und Barbara kamen von der Eiche herabgeklettert und rannten mit lautem Geschrei auf Simon zu. Sie kannten den Medicus gut und wussten, dass er immer für ein Spiel oder einen Streich zu haben war.
    Vom Lärm aufgeschreckt öffnete Anna Maria Kuisl die Haustüre. Simon sah ihr steif lächelnd entgegen, während die Kinder versuchten, an ihm hochzuspringen, um an das Bündel auf seiner Schulter zu gelangen. Auch mit knapp vierzig Jahren war die Henkersfrau noch eine attraktive Person, die mit ihrem kohlschwarzen Haar und den buschigen Augenbrauen ihrem Gatten fast wie eine Schwester glich.
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