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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter
Autoren: Oliver P�tzsch
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unterwegs. Von links erklang das metallische Hämmern des Hufschmieds, der gerade den Gaul eines Ratherren neu beschlug. Der Metzger daneben hatte vor seinem Haus eine Sau geschlachtet. Dünne Bäche von Blut liefen über die Pflastersteine, so dass der Medicus mit einem weiten Schritt darüber hinwegsteigen musste, um seine neuen Lederstiefel nicht zu beschmutzen. Weiter vorne bot ein Bäcker frisches Brot an. Simon wusste, dass es wieder voller Spelzen sein undbeim Kauen knirschen würde. Echtes Weißbrot konnten sich zurzeit allenfalls die Ratsmitglieder leisten, und auch das nur an Festtagen.
    Dabei konnten die Schongauer froh sein, wenn es jetzt im elften Jahr nach dem großen Krieg überhaupt etwas zum Essen gab. In den letzten vier Jahren war die Ernte gleich zweimal durch Hagelschläge praktisch vollständig vernichtet worden. Im Mai vorigen Jahres erst hatte ein furchtbarer Wolkenbruch den Lech über die Ufer treten lassen und die Stadtmühle weggeschwemmt. Seitdem mussten die Schongauer zum Kornmahlen nach Altenstadt oder noch weiter ziehen, natürlich zu höheren Preisen. Viele Felder in den umliegenden Dörfern lagen brach, die Bauernhäuser waren verlassen. Jeder Dritte war in den letzten Jahrzehnten an Pest und Hunger gestorben. Wer konnte, hielt sich Vieh im Haus und lebte von Kohl und Rüben aus dem eigenen Garten.
    Als sie über den Marktplatz gingen, warf Simon einen Blick auf das Ballenhaus. Das Lagergebäude, über dem sich der Ratssaal befand, war einst der Stolz der Stadt gewesen. Als Schongau noch reich war, auf gleicher Augenhöhe mit Augsburg, waren hier die mächtigen Händler des Reiches ein und aus gegangen. Die kleine Stadt, am Lech gelegen und Knotenpunkt alter Handelsstraßen, war einst ein wichtiger Umschlagplatz für Waren aller Art gewesen. Doch der Krieg hatte alles zunichtegemacht. Das Ballenhaus verfiel, Putz bröckelte von den Wänden, das Eingangstor hing schief in den Angeln.
    In den Zeiten des Mordens und Raubens war Schongau arm geworden. Die einst reiche, schmucke Stadt im bayerischen Pfaffenwinkel hatte sich in eine Durchgangsstation für arbeitslose Söldner und Obdachlose verwandelt. Nach dem Krieg kamen Hungersnot, Krankheiten,Viehseuchen und Hagelschlag. Die Stadt war am Ende, und Simon wusste nicht, ob sie sich noch einmal aufraffen konnte. Und doch, die Bürger hatten noch nicht aufgegeben. Auf dem Weg durch das Lechtor hinunter zum Fluss sah Simon auf ein buntes Treiben hinab. Fuhrleute trieben ihre Ochsenwägen den steilen Hang hoch zum Marktplatz. Drüben im Gerberviertel rauchten die Kamine, und unten am Flussufer standen die Frauen mit ihren Waschtrögen und kippten das schmutzige Wasser in den wild strömenden Lech. Auf seinem Berg thronte Schongau über den Wäldern und dem Fluss und blickte beinahe wie eine stolze Matrone in Richtung Augsburg, ihrer älteren, mächtigeren Schwester. Simon musste plötzlich lächeln. Nein, diese Stadt würde sich nicht unterkriegen lassen. Das Leben ging weiter, allem Sterben zum Trotz.
     
    Drüben an der Floßlände hatte sich eine größere Menge Volk versammelt.
    Simon hörte murmelnde Stimmen und dazwischen immer wieder die klagenden Schreie eines Mannes. Er überquerte die Brücke und wandte sich nach rechts in Richtung des Lagerschuppens, der an den Steg grenzte. Mühselig bahnte er sich seinen Weg durch die Menschen, bis er zum Kern der Ansammlung vorstieß.
    Auf den nassen Holzbalken kniete der Fuhrmann Josef Grimmer über einem blutigen Bündel. Sein breiter Rücken versperrte Simon die Sicht. Simon legte Grimmer die Hand auf die Schulter und spürte, wie der Mann zitterte. Erst nach einiger Zeit bemerkte er den Medicus hinter sich, sein Gesicht war tränenverschmiert und leichenblass.
    Mit überschnappender Stimme schleuderte er Simon seinen Fluch ins Gesicht. »Das haben sie mit meinemSohn gemacht! Abgestochen haben sie ihn wie eine Sau! Ich bring sie um, alle bring ich sie um! «
    »Wen?«, fragte Simon leise. Doch der Fuhrmann hatte sich schon wieder schluchzend seinem Kind zugewandt.
    »Er meint die Augsburger Fuhrleute«, murmelte ein Mann neben ihm. Simon erkannte ihn als einen aus der Fuhrmannszunft.
    »In letzter Zeit hat’s immer wieder Streit mit ihnen gegeben, weil sie uns die Fracht überlassen müssen«, fuhr der Mann fort. »Sie sagen, wir würden uns was von der Ware abzweigen. Josef hat sich mit denen oben im ›Stern‹ angelegt.«
    Simon nickte. Er selbst hatte nach dem Streit im Gasthaus ein paar
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