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Die heimliche Päpstin

Die heimliche Päpstin

Titel: Die heimliche Päpstin
Autoren: Frederik Berger
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sie seine Stellung errang. Er schwingt auch die Moralkeule über die Tatsache, daß Papst Sergius III. der Vater von Marozias erstgeborenem illegitimen Sohn war, einem ›Bastard‹ also, der in jungen Jahren von ihr zum Papst gemacht wurde. Daß ihr Enkel, der Sohn Alberichs II., als Mensch und Papst ein vom Geist des Christentums wenig berührter sittenloser Kretin war und einen kaum zu unterbietenden Tiefpunkt des Papsttums darstellte, paßt ins düstere Bild.
    Allerdings läßt sich selbst bei flüchtiger Vergeltungs-Lektüre feststellen, daß der Kleriker Liutprand ein frauenfeindlicher, selbstverliebter und zugleich rachsüchtiger Schwätzer war, dessen Urteile mit Vorsicht zu genießen sind. Wie man überhaupt, sobald man sich ein wenig intensiver mit den Jahren zwischen 880 und 960 in Italien beschäftigt, rasch begreift, daß die sokratische Skepsis gegenüber angeblich gesichertem Wissen die einzig angemessene Haltung ist.
    Abgesehen von Spezialuntersuchungen, von denen sich einige mit dynastischen Fragen beschäftigen, gibt es im deutschen Sprachraum keine mir bekannte neuere Gesamtdarstellung der Epoche. Harald Zimmermanns von mir herangezogene Monographie Das dunkle Jahrhundert. Ein historisches Porträt ist 1971 erschienen, und eine Arbeit wie Otto Gerstenbergs Dissertation Die politische Entwicklung des römischen Adels im 10. und 11. Jahrhundert stammt aus dem Jahre 1933. Erstaunlicherweise ist Ferdinand Gregorovius' vielbändige Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, obwohl anderthalb Jahrhunderte alt, noch immer eine unübertroffen detailreiche und zugleich stilistisch glänzende Darstellung auch des dunklen Jahrhunderts. Sein im Urteil ausgewogenes Werk diente mir als Hauptquelle und Faktenlieferant meines Romans. Als unverzichtbares ergänzendes und vertiefendes Hilfsmittel muß darüber hinaus erneut das neunbändige Lexikon des Mittelalters genannt werden.
    Es erübrigt sich zu betonen, daß das durch Ritterfilme und zahlreiche Romane verbreitete Bild des Mittelalters für die Jahre zwischen Karl dem Großen und der Jahrtausendwende kaum zutrifft: Burgenromantik, Turniere und Minnesang gab es noch nicht, von verwinkelten Fachwerkgassen und himmelstürmenden Gotteshäusern ganz zu schweigen, feudalistische Strukturen bildeten sich erst langsam heraus, die Menschen lebten in Mittel- und Westeuropa in Armut und Aberglauben, häufig auch in Anarchie und unaufhörlicher Bedrohung durch brutale Gewalt, Hunger und Krankheiten.
    Zu gleicher Zeit finden wir im südöstlichen Europa, also im byzantinischen Reich, und im islamischen Orient Hochkulturen, von denen die Menschen im dreigeteilten Frankenreich nur träumen konnten. Byzanz und die arabische Welt bekämpften sich allerdings heftig, mit wechselnden Erfolgen, der islamische Machtbereich teilte sich in selbständige Kalifate und gedieh nicht nur aus innerer Kraft, sondern bereicherte sich durch anhaltende Piraterie und Ausplünderung der mittelmeerischen Küsten.
    Italien wurde nach dem fränkischen Sieg über das Langobardenreich im Süden teils byzantinisch, teils arabisch beherrscht und zerfiel in seinen anderen Landesteilen in regionale Herzogtümer und Markgrafschaften ohne eine zentrale Macht, heimgesucht nicht nur von den Sarazenen, sondern auch von den Ungarn. Daß weder Herrschaft noch Verwaltung adäquat funktionieren konnten, technisches Wissen verfiel und kulturelle Schöpfungen, falls sie überhaupt entstanden, zerstört oder geraubt wurden, braucht nicht zu verwundern. Das gleiche gilt für Dokumente der Literatur und Verwaltung: Pergament brennt leicht, und es grenzt an ein Wunder, wenn sich manche schriftlichen Zeugnisse über die Jahrhunderte retten konnten. Hinzu kommt, daß im Mittelalter häufig Dokumente absichtlich vernichtet und zudem gefälscht wurden – auch und gerade von kirchlichen Kanzleien. Berühmtes und historisch weitreichendes Beispiel ist die sogenannte Konstantinische Schenkung, die immerhin die Grundlage legte für die Entstehung des Kirchenstaats und den Suprematsanspruch des Papstes.
    Nicht ganz zufällig hat der Historiker Heribert Illig die Jahre zwischen dem siebten und dem zehnten Jahrhundert in seinem Buch Das erfundene Mittelalter als ›die größte Zeitfälschung der Geschichte‹ bezeichnet. In seinen Augen hat es diese Zeit gar nicht gegeben, die wenigen verfügbaren Quellen und Zeugnisse seien Fälschungen. Nun mag man diese Hypothese, die sich durchaus auf gründliche Forschungen stützt, für
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