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Die heimliche Päpstin

Die heimliche Päpstin

Titel: Die heimliche Päpstin
Autoren: Frederik Berger
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existierte nicht; faktisch herrschte Anarchie.
    Im mittleren und nördlichen Italien fehlte nach dem Niedergang der fränkischen Oberherrschaft ebenfalls eine zentrale Befehlsgewalt: Es wurden zwar Könige gewählt und Kaiser gekrönt, aber Machtausübung mußte gegen Widerstand durchgesetzt werden. Es kam zu Parteibildungen und kurzfristigen Allianzen, zu Aufständen und Verrat, zu Gegenkaisern und einem bunten Reigen von sich brutal befehdenden Fürsten. Männer wie Alberich stiegen aus dem sozialen Nichts auf und errangen schließlich sogar Markgrafenwürde.
    In Rom schrie das Machtvakuum förmlich nach Personen und Familienclans, die geschickt genug waren und über Wille wie Mittel verfügten, die Herrschaft an sich zu reißen. Aus ihnen bildete sich (nach Mafia-Muster, vermute ich) eine neue Adelsoligarchie, die, auf ihren Grundbesitz im Umfeld der Stadt gestützt, für Jahrhunderte die Päpste stellte, die Pfründe der Kirche unter sich aufteilte und nicht zimperlich war, wenn es darum ging, eigene Vorteile zu erobern oder zu verteidigen.
    Ein wichtiger Grund für die landesweite Anarchie lag in der bereits erwähnten Ausplünderung des Landes: Die Sarazenen machten brandschatzend die Küsten unsicher und beuteten das südliche Italien aus. Von Nordosten drangen die Ungarn ein und verwüsteten zuerst die Po-Ebene, später zogen sie bis nach Apulien.
    Die Regionalgeschichte der Küstengebiete zeigt, daß durch die Sarazenenüberfälle weite Landstriche verödeten und menschenleer waren. Dies gilt zum Beispiel für das südliche Piemont, darüber hinaus für die Provence: Dort hatten sich die Sarazenen um Fraxinetum (Fréjus bei Saint Tropez und dem Massif des Maures ) – wie am Garigliano – achtzig Jahre lang niedergelassen und das Land heimgesucht. Es ist immer wieder ein Rätsel, wie die Menschen damals (über-) leben konnten, wie sie wirtschafteten, wie sich nach Verwüstung neue Herrschaft bildete, wie so etwas wie ein Gemeinwesen entstehen konnte.
    Bei meinen diesbezüglichen Recherchen hat mir die wirtschaftsgeschichtlich ausgerichtete Studie Das frühe Mittelalter von Jan Dhondt weitergeholfen. Hier fand ich auch Hinweise auf die Entwicklung, die man in Italien die Phase des incastellamento nennt: Aufgrund der dauernden Überfälle lösten sich die ungeschützten Flachlandsiedlungen und lose verstreuten Gehöfte und Domänen auf, die Bevölkerung, so sie überlebte, zog sich in befestigte Bergdörfer zurück. Die neu entstehende und sich häufig befehdende Herrenschicht benötigte zudem gesicherte Burgen und eine zunehmende Verteidigungsfähigkeit ihrer städtischen Wohnanlagen, die schließlich zu der Architektur der Geschlechtertürme führte, wie wir sie heute noch in San Gimignano und einigen anderen Orten Italiens vorfinden.
    Wer von den pittoresken Dörfern, die wie Adlerhorste im unwegsamen Berggelände thronen, fasziniert ist, macht sich selten klar, daß sie nicht zuletzt die Folgen der arabischen und ungarischen Invasion und ihrer Politik von Raub, Mord und Versklavung sind.
    In diesem Sinne weist mein Roman auch darauf hin, daß die gewaltbetonte Auseinandersetzung zwischen dem Islam und dem christlichen Abendland nicht mit den Kreuzzügen beginnt, wie man heute gelegentlich den Eindruck gewinnen könnte. Bekannt ist, daß die arabischen Eroberungen erst im Zentrum Frankreichs bei Tours und Poitiers aufgehalten werden konnten. Weniger bekannt ist, daß die mittelmeerische Welt über viele Jahrhunderte unter der Geißel sarazenischer Plünderungen litt und einen hohen Blutzoll zahlen mußte. Daß diesem Ausbluten und Veröden auch ein Kulturverlust folgte sowie eine Erosion von Moral und Menschlichkeit, ist leicht nachvollziehbar.
    Vor diesem Hintergrund gewinnen die drei weiblichen Hauptfiguren meines Romans eine symbolische Bedeutung für die Kraft, die in uns Menschen steckt. Insbesondere in dem Verhalten der Aglaia habe ich eine Stärke gefunden, die man heutzutage Resilienz nennt und der man sich in der Psychologie zunehmend widmet. Früher sprach man von Seelenstärke und Leidensfähigkeit. Im Zeitalter einer allgegenwärtigen Opferkultur und Therapiebedürftigkeit ist menschliche Resilienz, die trotz schwerer Kindheit und gnadenloser Schicksalsschläge zu psychischer Gesundheit und humaner Größe führt, zu Empathie und Liebesfähigkeit, eine erstaunliche und bewunderungswürdige Erscheinung, zugleich ein menschliches Rätsel – und immer wert, daß man von ihr realistisch und
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