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Die heimliche Lust

Die heimliche Lust

Titel: Die heimliche Lust
Autoren: Dalma Heyn
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zugänglich geworden, notierte er, doch der Eros der Frauen verberge sich noch in undurchdringlicher Finsternis und bleibe daher »ein dunkler Kontinent«. Er ist es noch, eine ganze Welt, gekennzeichnet durch die Stummheit der Frauen.
    Erklärungsversuche dieser Stummheit gehen davon aus, daß Frauen nicht wirklich wissen, was sie wollen, oder daß sie nicht sagen, was sie brauchen, oder nicht sagen, was sie meinen, oder nicht meinen, was sie sagen. Leute, die gemerkt haben, wie schwer es Frauen fällt, über das zu sprechen, was ihnen kostbar ist — Liebe und Sexualität — , vertreten gelegentlich auch die Auffassung, ihr Schweigen sei nicht kulturell bedingt, sondern angeboren; selbst wenn sie wüßten, was sie wollen, sprächen Frauen nicht darüber, weil sie »heimlichtuerisch« oder »manipulativ« oder »verschlagen« seien; es fehle ihnen nicht nur eine Stimme, es fehle ihnen noch viel mehr: eine Moral, ein Selbst, die Seele. Oder es wird angedeutet, die Wünsche der Frauen seien einfach nicht zu enträtseln — siehe Freuds Schlußfolgerung — , selbst wenn sie sich äußerten. »Was wollen die Frauen ?« , fragte er, hatte die Antwort aber längst parat, daß die Frage prinzipiell unbeantwortbar sei, daß die Erforschung eines solchen Mysteriums nur Chaos zutage fördern würde, daß die Begierden der Frauen dem Reich des Unergründlichen angehörten.
    Frauen sind aber nicht von Natur aus stumm; man hat sie zum Schweigen gebracht. Es fehlt ihnen nicht die Stimme, ihre Worte sind nicht willkommen! Frauen haben seit ewigen Zeiten die Korrelation zwischen weiblicher Leidenschaft und Bestrafung miterlebt; sie wissen, daß beides untrennbar blieb. Sie kennen die Geschichten von Anna, Hester und Emma, wissen, was aus männlicher Vergötterung und Eifersucht entsteht; sie sind Zeuginnen dessen geworden, was im Film und im Leben mit sexuell »aggressiven« Frauen geschieht; haben von der Entscheidung von Königen gehört, ihre »geliebte« Königin zu töten, haben die Entscheidung von Autoren registriert, dem Beispiel der Gesellschaft zu folgen und ihre Heldinnen zu töten. Bücher und Bühne haben sie mit den Leichen begehrenswerter, leidenschaftlicher und vitaler Frauen gepflastert gefunden, sie sind in Zeitungen, im Fernsehen und im Kino auf sie gestoßen, und sie haben die Botschaft längst begriffen: Leidenschaft rächt sich. Sexualität tötet Frauen. Und sie haben einen klugen Entschluß gefaßt: Sie haben den Mund gehalten.
    Die wenigen, die sich dennoch äußern, klingen für unsere Ohren — um ein Wort zu gebrauchen, mit dem man Frauenstimmen, die etwas lauter werden, meist bezeichnet — schrill. Frauen, die über ihre eigenen sexuellen Begierden sprechen, hören sich anders an als andere Frauen; wie ein heranrollender Brecher in ruhiger See. Wenn sie versuchen, ihre erotische Lust zu artikulieren, klingen viele, als übersetzten sie aus einer fremden Sprache. Was sie tatsächlich auch tun. Wenn sie sprechen, klingen sie für unsere Ohren nicht wie Frauen. Denn wie eine Frau zu klingen, heißt, überhaupt nicht über Erotik zu sprechen.
    Wenn schon Sex als solcher Frauen zum Schweigen bringt, dann läßt verbotener Sex sie um so mehr verstummen. Unerschrockene Schriftstellerinnen müssen sich mit der Tatsache auseinandersetzen, daß ihre Heldinnen keine spezifische erotische Sprache vorfinden, daß die Worte des sexuellen Diskurses männlich sind. Obwohl wir männliche Autoren, die diese Sprache gebrauchen, durchaus schätzen, werden Schriftstellerinnen, die dasselbe tun, als obszön, vulgär, kalt, bedrohlich, beutelüstern, unweiblich oder bestenfalls als unauthentisch bezeichnet.
    Und da ist dieses gnadenlose Todesurteil, mit dem sie sich herumschlagen müssen. Zwar geht Erica Jongs berühmte Heldin Isadora Wing weder ins Wasser, noch vergiftet sie sich, aber die Autorin hat durchaus mit dem Gedanken gespielt, ihr das anzutun: »Ich brachte sechs Monate damit zu, den Schluß von Die Angst vorm Fliegen zu schreiben und immer wieder umzuschreiben«, sagt sie. »Es war 1973, und das Buch sollte längst fertig sein, aber ich konnte es nicht aus der Hand geben. Ich dachte ständig: >Sie muß sterben, sie muß sterben<, und schließlich begriff ich, daß ich das patriarchalische Paradigma verinnerlicht hatte. Obwohl ich schließlich damit gebrochen habe, war etwas in mir da, das es erfüllen wollte .«
    Es fällt Ehefrauen schwer, über ihren Ehebruch zu sprechen: Wie können sie wie »Frauen«
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