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Die heimliche Lust

Die heimliche Lust

Titel: Die heimliche Lust
Autoren: Dalma Heyn
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wird, weil sie es fertigbrachte, ihren Mann zu lieben und gleichzeitig mit einem anderen Mann zu schlafen. Vielmehr stelle ich mir vor, daß Anne auch weiterhin ein sehr erfülltes Leben führen wird, immens bereichert durch ihre Liebesgeschichte.
    Dieses Nicht-Ende ist die neue Variante eines alten Themas. Dem Thema Ehebruch entgeht man kaum, sei es in Romanen, Theaterstücken, Filmen oder Opern; seit Homer ist die Literatur voll davon, und das Interesse daran dauert unvermindert an. Schon Denis de Rougemont, der Verfasser von Die Liebe und das Abendland, hat das festgestellt: »Der Literatur nach zu urteilen, scheint Ehebruch sowohl in Europa als auch in Amerika eine der bemerkenswertesten Beschäftigungen zu sein .« Wenn es dabei allerdings um ehebrechende Frauen geht, sind sie gewöhnlich bald erledigt. Man denke an Anna Karenina, Madame Bovary, Hester Prynne, Tess von den d’Urbervilles . Ihr Geist schwebt über jeder Ehebruchsgeschichte, die wir hören. Ihre Geschichte, selbst ihre Namen sind identisch mit Sünde, mit Tod, Isolation, Schande, Schuld. Ja, man zeige mir eine verheiratete Frau, die eine Liebesbeziehung hatte — und zwar eine leidenschaftliche, nicht eine bloß oberflächliche, sie nicht weiter berührende — und es geschafft hat, auch weiterhin ein lebenswertes Leben zu führen: das wäre wirklich die absolute Ausnahme, die einzig aufrechte in einem Heer von gescheiterten Heldinnen.
    Ehebrechende Frauen werden bestraft, treulose Ehemänner im allgemeinen nicht. Und im Innersten sind wir überzeugt, daß fremdgehende Männer nichts Tadelnswertes tun — auf jeden Fall nichts, was aus ihrer Art schlüge. (»Wenn du Monogamie willst, heirate einen Schwan«, rät ein Vater seiner Tochter in Nora Ephrons Film Heartburn von 1986, als sie sich über die Untreue ihres Mannes beklagt.) Im Gegenteil, wir haben das Gefühl, daß sich solche Männer natürlich verhalten, normal, und außerdem entsprechend den romantischen Geschichten über höfische Minne, in denen es absolut nicht unanständig ist, Hindernisse, die dem Besitz einer verbotenen Frau entgegenstehen, zu überwinden — im Gegenteil, es ist edel. Diese Männer machen sich praktisch »auf die Suche nach dem WahrenGutenSchönen«, schreibt die britische Soziologin Annette Lawson, Verfasserin des Abschlußberichts einer Untersuchung über außereheliche Sexualität ( Adultery: An Analysis of Love and Betrayal, 1988).
    Eine ehebrechende Frau hingegen kann im Rahmen der Abenteuergeschichte, die die Suche des weiblichen Geschlechts nach dem WahrenGutenSchönen allein auf die nach einem Ehemann verpflichtet, einfach nicht toleriert werden. Eifersüchtige Ehemänner, die ihre Frauen töten — ebenso wie ihre Kinder und den Geliebten ihrer Frau — , füllen die Seiten der Literatur wie die der Zeitungen: Mord ist zwar ein dramatischer Bruch des Ehegelübdes, aber schon der Verdacht, daß eine Frau außerehelichen Sex hatte, genügt in den Augen vieler zu dessen Rechtfertigung. Shakespeare ist besessen von diesem monströsen Bann, in den allein die Vorstellung von Ehebruch eben noch vertrauensvolle Männer schlagen kann, und von der daraus resultierenden Verwüstung, die diese Männer dann selbst über die reinsten aller Frauen bringen — alles im Namen der Liebe.
    Die Vorstellung, daß ehebrechende Frauen befleckt, unrein, abartig, unnatürlich, entmenscht seien (»O du Ding!«, schreit Leontes die unschuldige Hermione in Ein Wintermärchen an), durchtränkt unser Bewußtsein so vollständig, daß es sogar schwierig ist, in der Literatur eine unverheiratete Frau zu finden, die eine Liebesaffäre hat und die nicht aufgrund ihrer Sexualität vernichtet wird. In der Regel wurden sie stigmatisiert, ausgestoßen, das mindestens, oder getötet (oder sie töteten sich selbst), jede dieser strahlenden Heldinnen: Genoveva, Carmen, Mimi, Violetta, Hermione.
    Manchmal wurden sie indirekt bestraft: Jane Eyre kriegt zwar ihren Rochester, aber er ist erblindet; Sue Brideheads Schuld treibt sie in den Wahnsinn; Maggie Tulliver in The Mill on the Floss verzichtet auf Stephen, schon bevor sie mit ihm geschlafen hat, dann ertrinkt sie — vielleicht bloß, weil sie daran dachte. Eine Affäre kostet die heutigen Protagonistinnen vielleicht nicht mehr das Leben (soweit ich weiß, war Mary McCarthys A charmed life (1955) die letzte Geschichte eines Ehebruchs, in der die Frau Selbstmord beging), aber sie kann sie immer noch ihre Ehe, ihren Status in der Gesellschaft und
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