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Die heimliche Lust

Die heimliche Lust

Titel: Die heimliche Lust
Autoren: Dalma Heyn
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literarische Phantasie bevölkern«.
    Es war, mit anderen Worten, unvermeidlich, daß Flauberts arme Bovary leiden und sich dann umbringen mußte, trotz der leidenschaftlichen Identifizierung ihres Schöpfers mit ihr ( »Ich bin Emma Bovary«, pflegte er Lesern zu sagen, die wissen wollten, welche Person ihm als Vorlage gedient hatte). Es war logisch, daß Anna Karenina das gleiche Ende finden würde, obwohl Tolstoi zugab, sich in sein Geschöpf verliebt zu haben, als er sie Gestalt annehmen ließ — und obwohl er vorgehabt hatte, eine simple Moralgeschichte zu schreiben. Verliebt oder nicht, die Eisenbahngleise waren Annas unentrinnbare Bestimmung. Thomas Hardy zögerte — ebenso wie Flaubert und Tolstoi — , seine geliebte, schöne, weitherzige Tess ins Jenseits zu befördern, ließ sich jedoch schließlich dazu herbei, obwohl, wie Irving Howe bemerkt, »es ihm so schwerzufallen scheint, sich von Tess loszureißen, wie einem schwergeprüften Vater«. Howe untersucht das Dilemma dieses Vaters, der seine vor Leben und Sex strotzende Tochter liebt und sie vor Schaden bewahren will. »Er ist so liebevoll zu Tess, wie Tess es zur Welt ist .« Aber nicht so liebevoll, daß er ihre zwei Liebhaber daran hindern würde, sie zu verraten, und nicht so väterlich, daß er sie vor dieser gräßlichen Dreschmaschine retten oder es so einrichten würde, daß sein geliebtes Geschöpf nicht gehängt wird. Nein, die Männer, die diese Frauengestalten schufen und sie liebten und bewunderten, haben sie auch getötet. Auch in der amerikanischen Literatur ist, wie der Kritiker Leslie Fiedler anmerkt, die einzig wirklich tugendhafte Frau eine tote Frau.
    LeserInnen, die diesen dem Untergang geweihten Heldinnen zum erstenmal begegnen, könnten sich sehr wohl fragen: »Wenn sie so wunderbar sind und wenn die Männer sie so liebten, warum werden sie dann umgebracht ?« Im Gegensatz zum klassischen tragischen Helden, dessen Hochmut oder Torheit ihn zu einem Leiden verurteilt, das schließlich wieder mit ihm aussöhnt, braucht die tragische Heldin keinen entscheidenden Mangel zu haben, um ihr tragisches Ende zu rechtfertigen: Tess ist weder hochmütig noch töricht; Anne ebensowenig. Ihr Leiden kommt von außen, nicht von innen; es ist der Rigorismus der gesellschaftlichen Ordnung, nicht irgendein Charakterfehler. Uns bricht das Herz, wenn wir miterleben, wie teuer sie nicht nur dafür bezahlen, daß sie die Grenzen des Anstands überschreiten, sondern dafür, daß sie genau jene Qualitäten besitzen, die Männer veranlassen, sich in sie zu verlieben, und Frauen, sich mit ihnen zu identifizieren.
    Und wie sollen wir einen Sinn in den wirklichen Tragödien, jenseits der literarischen, erkennen? Wie konnten Flaubert, Tolstoi und Hardy diese vitalen, lebendigen und sexuell aktiven Frauen erschaffen und lieben — und sie dann töten? Wie kann man begreifen, daß Männer besitzen und festhalten wollen, und daß sie, wenn dieser Anspruch auch nur einen Augenblick in Gefahr gerät, bereit sind zu töten? Daß sie einen solchen Mord, wie Othello es tat, die Folge »allzugroßer Liebe« nennen?
    Die meisten von uns kennen die Antworten und stellen solche Fragen nicht. Es ist tief in uns, dieses Bild der schönen, starken, verletzlichen, zärtlichen, gütigen, schweigsamen Frau, die wegen ihrer Leidenschaftlichkeit zuerst vergöttert und dann vernichtet wird. (In »Leidenschaft« ist ja »Leiden« und »Passion« enthalten.) Sobald eine Frau aus dem heraustritt, was Nathaniel Hawthorne in seinem Meisterwerk zerstörter Leidenschaft, Der scharlachrote Buchstabe, das »eiserne Gehäuse [männlicher] Denkweise« nennt, muß sie unweigerlich mit ihrem Leben büßen. Wir fragen gar nicht erst, warum Männer sie töten oder warum wir so vorhersagbar auf ihr Schicksal reagieren. Vielleicht hängen wir gerade an ihrer Machtlosigkeit, ohne die sie ihren herzzerreißenden Status als das geliebte Opfer verlieren würde, das uns die Tränen in die Augen treibt, während die Gesellschaft sie zermalmt. 1880, drei Jahre, bevor ihr Mann Anna Karenina begann, schrieb Sonja Tolstoi: »Er erzählte mir, daß er sich eine gesellschaftlich hochstehende Frau vorstellte, die Ehebruch begangen hat. Er sagte, sein Problem sei, diese Frau nicht als schuldig, sondern als bedauernswert darzustellen...« Vielleicht kann unser Mitleid für eine Ehebrecherin selbst über ein Jahrhundert später nur dann geweckt werden, wenn sie geopfert wird, vielleicht kann sie nur dann für
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