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Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Marina Fiorato
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gelegen kam. Selbst ihre Verkleidung erzielte nicht immer die gewünschte Wirkung. Bedeckte sie ihre Augen, stierten die Männer auf ihren Mund. Bedeckte sie ihren Mund, starrten sie ihre Augen an. Bedeckte sie ihr Haar, musterten sie ihre Figur. Trotzdem durfte sie in ihren Bemühungen nicht nachlassen, denn die Unannehmlichkeiten, die ihre tägliche Maskerade mit sich brachte, war nichts im Vergleich zu den Folgen, mit denen sie rechnen musste, wenn sie sich nicht so sorgsam verhüllte.
    Die Feyra vor dem Spiegel hob das Kinn leicht an, und das Spiegelbild ermutigte sie. Heute musste sie Frauenkleider tragen. Nun gut, sie würde das Beste daraus machen. Sie begann mit ihrem Ritual.
    Nur mit ihrer weiten Pluderhose aus durchsichtiger Seide angetan, griff Feyra nach einer langen cremefarbenen Bandage, klemmte ein Ende in ihre Achselhöhle und wickelte den Stoff fest um ihren Oberkörper. Als ihre Brüste schmerzten und ihr das Atmen Mühe bereitete, empfand sie ein grimmiges Glücksgefühl.
    Jetzt war es Zeit für das Gewand. Feyras Vater hatte ihr Roben aus gold- und silberfarbenen Satin sowie Ballen von Samit und leichter Damaszener Seide aus allen vier Winkeln der Welt mitgebracht, doch sie lagen unberührt in einer Truhe unter dem Fenster. Stattdessen hatte sie auf dem Bedestan-Basar ein schlichtes sackartiges Gewand, ein barami, erstanden. Das Kleid fiel ihr ohne Falten bis zu den Füßen und verdeckte ihre Gestalt. Darüber kam das ferace, das Oberkleid, dessen Mieder bis zur Taille geknöpft und dann offen gelassen wurde.
    Dann kämmte und flocht sie ihr Haar, wand es wie eine Krone um ihren Kopf und kämpfte mit den Locken, die hartnäckig dem Schleier entschlüpften, egal wie sehr sie sich bemühte, sie zu bändigen. Sie zog einen dünnen Schleier über ihr Haar und befestigte ihn mit einem um die Stirn herum verlaufenden geflochtenen Band. Dann befeuchtete sie die Löckchen, die um ihr Gesicht tanzten, mit Rosenwasser und strich sie energisch zurück, bis keine einzige Strähne mehr zu sehen war.
    Über all das stülpte sie den hotoz, eine viereckige Kappe, die unter dem Kinn geknöpft wurde, und bedeckte ihr ganzes Gesicht mit einem viereckigen yemine -Schleier. Dann schlang sie sich eine lange Bahn schlichten Tülls mehrmals um den Hals und blickte erneut in den Spiegel. So in Stoffhüllen eingewickelt, war sie nicht zu erkennen. Ihre Kleider waren in Sand- und Zimttönen gehalten, um sie mit der Stadt verschmelzen zu lassen und ihr Schutz zu bieten. Den einzigen Farbfleck bildeten die gelben Pantoffeln ihres Glaubens – Lederpantoffeln mit hochgebogenen Kappen, die über dem Spann befestigt wurden und praktisch, wasserfest und unempfindlich gegen die anderen, weitaus schädlicheren Flüssigkeiten waren, mit denen sie bei der Ausübung ihres Berufs in Berührung kam.
    Als sie endlich fertig angekleidet war, verzichtete Feyra darauf, Schmuck anzulegen. Zwar besaß sie Gold genug – ihr nachsichtiger Vater hatte sie mit Tand überhäuft –, aber Arm- und Fußreifen hätten Aufmerksamkeit erregt und, schlimmer noch, sie bei ihrer Arbeit behindert.
    Sie vervollständigte ihre Aufmachung durch ein letztes Kleidungsstück, das allerdings keinen modischen Putz, sondern eine Notwendigkeit darstellte: einen hässlichen, sperrigen Gürtel, den sie selbst angefertigt hatte. Er enthielt eine Reihe kleiner Glasfläschchen und Phiolen, die jeweils in einer Lederkapsel steckten und an einem breiten Lederriemen mit einer großen Messingschnalle hingen. Sie schnallte den Gürtel unter ihr ferace, sodass er komplett verborgen war, sie aber zugleich um die Taille herum plump wirken ließ und ihr die Silhouette einer doppelt so alten Frau verlieh.
    Als sie fertig war, war die Sonne vollständig aufgegangen, und der Himmel schimmerte so blau wie ein Vogelei. Sie gestattete sich einen weiteren Blick auf die Stadt, die sie liebte und von der sich ihr jetzt im Tageslicht jede Einzelheit darbot. Die wundervolle Kurve der glitzernden Bucht; die Häuser und die Tempel, die sich wie ein juwelenbesetztes Halsband an der geschwungenen Küstenlinie entlangzogen. Darüber kauerte wie ein Wächter des Bosporus die große Moschee Hagia Sophia, von deren sonnenbeschienener goldener Kuppel sich die Falken des Sultans von der Thermik hoch in die Luft tragen ließen. Feyra vergaß einen Moment ihr Fernweh, sie wollte nicht mehr wissen, was hinter diesem Meer lag. Stattdessen schwor sie sich, diese Stadt nie zu verlassen.
    Der klagende
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