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Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Marina Fiorato
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Obwohl er dem Dogen noch nie zuvor begegnet war, kannte er ihn vom Hörensagen – ein Seelord mit vierzigjähriger Erfahrung, tief gläubig, respektiert und klug genug, um viele aufeinanderfolgende Ratssitzungen der Zehn zu überstehen, ohne in einem der furchtbaren Gefängnisse der Republik zu enden. War Sebastiano Venier zu spät in dieses höchste Amt gelangt? War sein Geist mittlerweile verwirrt? Hinter den Fenstern konnte er die Insel Giudecca sehen, regengepeitscht, aber immer noch eines der schönsten sestieri von Venedig, das sich um den hinteren Teil der alten Stadt wand. »Ja, natürlich«, gab er bedächtig zurück, während er überlegte, worauf die Frage abzielen mochte. Der Doge ergriff erneut das Wort. Er schlug einen Ton an, als würde er eine Legende wiedergeben oder ein Gleichnis predigen.
    »Als die Pest 1464 die Stadt fest in den Klauen hielt, kam ein junger Soldat an das Tor des Klosters Santa Croce auf Giudecca und bat um Wasser. Die Schwestern befanden sich alle in dem Gebäude, und die Äbtissin litt selbst an der Pest. Die portonera, eine Schwester Scholastica, ging an das Tor. Als ihr Blick auf den jungen Mann fiel, sah sie, dass er eine Rüstung aus schimmerndem Silber trug, Haare von goldenem Feuer und saphirblaue Augen hatte. Voller Ehrfurcht reichte sie ihm einen Becher mit Wasser aus dem Klosterbrunnen. Die Erscheinung dankte Scholastica und wies sie und alle ihre Mitschwestern an, Tag und Nacht zum heiligen Sebastian zu beten und das Wasser des Brunnens zu trinken. Wenn sie dies täten, würde das Kloster von der Pest verschont bleiben. Dann stieß er sein Schwert in den Boden und verschwand, als wäre er ein Lufthauch.«
    Palladio, der darüber nachgegrübelt hatte, wie schnell er nach Mestre gelangen konnte, sowie der Doge zum Ende gekommen war, fühlte sich durch die plötzliche Stille bemüßigt, eine Frage zu stellen. »Was ist dann passiert?«
    »Die Äbtissin erholte sich in dieser Nacht, ebenso wie jede andere kranke Nonne. Keine der anderen Schwestern wurde von der Pest befallen, und alle, die aus dem Brunnen tranken, wurden gerettet.« Der Doge erhob sich, trat von dem Podest herunter, auf dem sein Stuhl stand, ging zu Palladio hinüber und blickte von seiner beträchtlichen Größe auf ihn herunter. »Das Kloster war dann lange Zeit eine Pilgerstätte, und die Menschen nutzten das Wasser aus dem Brunnen, um sich vor der Pest und später vor anderen Krankheiten zu schützen. Als ich vier Häuser von Santa Croce entfernt im Venier-Palast zur Welt kam, wurde ich aufgrund dieses Wunders Sebastiano getauft. Aber jetzt ist das Kloster nur noch eine Ruine.« Er verstummte.
    Nur das Pfeifen des Windes zerriss die Stille. Palladio, der jetzt zu wissen meinte, was von ihm verlangt werden würde, spürte, wie sein Herz schwer wurde. Seit Jahren schon wollte er auf Giudecca bauen, einer Insel mit einem guten Untergrund aus massivem Felsgestein und einem der besten Blicke auf die Lagune. Seit Jahren hatte er den Rat der Zehn erfolglos gebeten, ihm dort ein Stück Land zuzuteilen. Aber jetzt, wo er sich nichts anderes wünschte, als die Stadt zu verlassen, wurde ihm genau das angeboten, was er sich am meisten ersehnte. Palladios schmale Lippen krümmten sich zu einem leisen Lächeln. Manchmal fand er, dass der Allmächtige über einen gehörigen Sinn für Ironie verfügte. »Und Ihr wollt, dass ich das Kloster Santa Croce wieder aufbaue?«
    »Nein, das eigentlich nicht.« Der Doge trat zum Fenster. »Schaut sie Euch an, Andrea.« Mit einem Schwenk seiner knorrigen Hand bedeutete er Palladio, auf die prächtige Fläche des Markusplatzes hinunterzublicken. Zwei Prostituierte schlenderten in ihren traditionellen rotgelben Gewändern unter dem Fenster her. Trotz des prasselnden Regens waren ihre Brüste entblößt und schwangen frei hin und her.
    Palladio, zu alt, um bei einem solchen Anblick etwas zu empfinden, entdeckte jemanden, der weniger unbeteiligt blieb; einen Mann, der die beiden von den Arkaden der Procuratie Vecchie aus beobachtete, während seine Hand eifrig in seiner Leistengegend beschäftigt war. Der Zuschauer winkte die Frauen zu sich in die Arkaden, und sowie eine Münze den Besitzer gewechselt hatte, presste er eine Frau gegen eine der majestätischen Säulen der Loggia, schlug ihre Röcke hoch und nahm sie mit heftigen Stößen. Die andere schob eine Hand hinten in seine Hose, um dem Kunden zusätzliche Freuden zu verschaffen. »Auf der Straße, Andrea.« Der Doge wandte
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