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Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Marina Fiorato
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wahr«, fiel ein anderer ein. »Aber es sind noch andere Zeichen gesichtet worden. Im Arsenal gibt es eine Bäckerei, und wenn man dort die Brotlaibe in zwei Teile bricht, beginnen sie zu bluten.«
    Der Doge trommelte mit den Fingerspitzen auf der Lehne seines Stuhls herum. »Die Tatsache, dass die Pest Venedig erreicht hat, steht nicht zur Debatte. Die Frage ist, wie wir die Seuche am besten bekämpfen.«
    Es war sinnlos. Ein Arzt wollte die Pest dadurch heilen, dass er seinen Patienten riet, eine tote Kröte um den Hals zu tragen. Der nächste schlug vor, eine lebende Taube rücklings in die angeschwollenen Beulen in Leistengegend und Achselhöhlen zu legen, damit die Schwanzfedern das Gift herausziehen konnten. Sie begannen sich gegenseitig zu übertönen, ihre Schnäbel prallten fast gegeneinander. Die Masken wirkten jetzt nur noch lächerlich, und die leisen, gelehrten Stimmen der Ärzte wurden immer schriller, bis sie dem Quaken einer aufgeregten Entenschar glichen.
    Der Doge, dessen Verärgerung stetig wuchs, merkte, dass sich seine Aufmerksamkeit anderen Dingen zuzuwenden begann. Diese Doktoren waren Scharlatane, Quacksalber, einer eingebildeter als der andere. Sein Blick wanderte zum Schatten eines Wandteppichs, wo ein Mann ungefähr seines Alters stand, zuhörte und darauf wartete, dass der Doge ihn zu sich rief und ihm mitteilte, warum er ihn herbefohlen hatte.
    Der alte Mann im Schatten, der von Beruf Architekt war, lauschte dem Geschnatter gleichfalls nur halbherzig. Immer mehr an Gebäuden als an Menschen interessiert, bewunderte er die Art, wie die steinernen Kreuzpfeiler den Schwung der Decke unterstrichen und wie die Proportionen der viereckigen Stützpfeiler die großen Tafeln der Fresken ergänzten.
    Genau wie der Doge hatte er anfangs einen Stich der Angst verspürt, als die Ärzte den Raum betreten hatten. Jeder, vom Dogen bis hin zu dem niedrigsten Bettler, wusste, was die Masken zu bedeuten hatten. Die Pest ging in der Stadt um. Aber der Architekt machte sich deswegen keine übermäßigen Sorgen. Vor zwei Jahren hatte es einen kleineren Ausbruch der Seuche gegeben, und er würde jetzt tun, was er damals getan hatte. Er würde die Stadt verlassen und sich nach Venetien zurückziehen, vielleicht in seine alte Heimatstadt Vicenza. Dort in den Bergen würde er ausharren und planen und zeichnen. Er würde Wein trinken, während er darauf wartete, dass die Pest ihren eigenen Durst stillte. Mit einem schnellen Boot nach Mestre und einem noch schnelleren Pferd nach Treviso konnte er bei Sonnenuntergang in Maser sein, im Haus seiner guten Freunde, der Brüder Barbaro. Für ihn würde es dort immer Platz geben, das wusste er, schließlich hatte er das Haus gebaut. Sowie er herausgefunden hatte, was der Doge von ihm wollte, würde er aufbrechen.
    Der Doge hatte genug gehört. Diese Ärzte konnten Venedig nicht helfen. Sie würden ihre Tränke und Arzneien verkaufen und dabei gutes Geld verdienen, und einige Bürger der Stadt würden am Leben bleiben und andere sterben. Er umschloss die Armlehne, bis sich seine Knöchel weiß verfärbten und er voller Verzweiflung auf sie hinabblickte. Der Anblick seiner Hände deprimierte ihn – sie waren knorrig, von Adern durchzogen und mit Leberflecken übersät. Wie konnte ein alter Mann die Pest aufhalten?
    Venier räusperte sich. Er musste handeln. Sein Vermächtnis durfte nicht darin bestehen, zugelassen zu haben, wie dieses Juwel von einer Stadt von der Pest zerstört wurde. Der Herzschlag des alten Dogen beschleunigte sich. Er erhob sich, wobei ihm das Blut in den Kopf stieg. »Ihr seid entlassen«, sagte er eine Spur zu laut zu den Ärzten. »Hinaus.« Er fuchtelte mit den Armen, als wolle er sie wegscheuchen wie die Krähen, die sie waren, und wartete, bis sich die Türen hinter ihnen geschlossen hatten. »Andrea Palladio.« Die Stimme des Dogen hallte in dem großen Raum wider. » Tretet vor.«
    Palladio löste sich aus dem Schatten, ging auf den großen Stuhl des Dogen zu und blieb davor stehen. Der Wind rüttelte an den Fensterflügeln, begehrte Einlass und brachte seinen Passagier, die Pestilenz, mit sich. Palladio, der es eilig hatte, hier wegzukommen, scharrte unruhig mit den Füßen, doch der Doge, der seinem Zorn Luft gemacht hatte, hatte seinen Platz wieder eingenommen und schien sich in einer nachdenklichen Stimmung zu befinden.
    »Habt Ihr schon einmal von dem Wunder des heiligen Sebastian von Giudecca gehört?«
    Palladio runzelte leicht die Stirn.
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