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Die Heilerin von Lübeck

Die Heilerin von Lübeck

Titel: Die Heilerin von Lübeck
Autoren: Kari Köster-Lösche
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etwas anderes gab es nicht. Hungrig machte sich die Gruppe am nächsten Tag wieder auf den Weg; Taleke hungerte am wenigsten, denn sie hatte im Gebüsch heimlich und hastig ihren Käserest verzehrt.
    Kaum hatten sie die Schwartaubrücke und die Dorfkirche hinter sich gebracht, um den steilen Hügel dahinter zu erklimmen, rief Lutgerd, der an der Spitze den Eselskarren führte, herrisch nach Taleke. Sie ging mit Belia und hatte nicht die Absicht, ihr von der Seite zu weichen.
    »Du musst gehen«, flüsterte Belia ängstlich. »Wenn du nicht gehorchst, wird er dich bestrafen.«
    »Bestrafen? Ich habe nichts getan …«
    »Ungehorsam verdient Strafe. Für uns beide.«
    Taleke stieß ein ungläubiges Schnauben aus, wanderte dann aber Belias wegen nach vorne. Jetzt, bei Tage, machte Lutgerd keine Annäherungsversuche, sondern begann sie auszuhorchen. Sie antwortete willig und achtete darauf, dass nichts stimmte, sie jedoch im Kopf behielt, was sie sagte, um sich nicht in Widersprüche zu verstricken. Lange würde sie es ohnehin nicht behalten müssen.
    »Du schläfst heute Nacht neben mir«, befahl Lutgerd. »Ich bin jetzt dein Beschützer.«
    Seinen Schutz, der sich nach Besitztum anhörte, wollte Taleke bestimmt nicht, aber er schien sich ihres Gehorsams so sicher, dass er erst gar keine Antwort erwartete. Jacoba war wohl die einzige Frau in seiner Nähe, die seine Gewalt nicht zu fürchten brauchte. Sie war seine Schwester, aber vielleicht fand er sie auch nur zu hässlich zum Anfassen.
     
    Am späten Nachmittag machten sie oberhalb von Schwartau unter efeubehangenen Eichen halt.
    Taleke sah sich, ebenso wie Belia und Jacoba, von Lutgerd in den Ort ausgesandt, nach Essbarem Ausschau zu halten. Geld gab er nicht her, sie sollten betteln oder stehlen und sich dabei nicht erwischen lassen.
    Belia und Jacoba eilten voraus, voller Angst vor Lutgerd. Taleke trödelte hinterher, bis sie die beiden aus den Augen verloren hatte, dann nahm sie die Beine in die Hand. An der Brücke über den Fluss Schwartau hatte sie schon von weitem die Anlage eines Klosters gesehen. Dessen steinerne Kapelle stand direkt an der Straße.
    Klöster pflegten nicht nur Kranke, sondern auch Arme zu verköstigen. Gaukler galten nicht als arm, sie gingen einem Gewerbe nach, das ihnen bei einigem Geschick durchaus den Lebensunterhalt sicherte, wie Jacoba Taleke erzählt hatte. Leider waren sie in letzter Zeit vom Pech verfolgt gewesen und hatten kaum Gönner gefunden. Taleke hingegen gehörte nicht zu den Fahrenden, und sie war arm.
    Forsch bog sie um die Ecke der Kapelle, hinter der mehrere steinerne Klostergebäude angeordnet waren. Fast wäre sie einem Mönch auf die Zehen getreten, der in genau der gleichen Eile zur Straße strebte. Er packte sie an den Schultern, hielt sie fest und betrachtete ausgiebig ihr Gesicht.
    »Du bist nicht krank«, sagte er. »Das glaube ich dir nicht.«
    »Ich habe doch mit keinem Wort behauptet, dass ich krank bin«, entgegnete Taleke empört. »Gott zum Gruße.«
    »Der Herr sei auch mit dir. Wer in dieser Klause Zuflucht sucht, ist krank.«
    »Ich suche keine Zuflucht.« Taleke war verunsichert. »Ich habe Hunger. Ich weiß, dass Klöster Hungrigen was zu essen geben, bevor sie vor den Klostermauern tot umfallen und die Brüder als Geizhälse entlarven.«
    Der Mönch gluckste. »Du siehst eher wie das blühende Leben aus, und deine Zunge ist so scharf, dass ihr der Hunger noch nicht geschadet haben kann. Dieses Gemäuer ist kein Kloster. Es beherbergt ein Domus leprosorum, ein Siechenhaus für Miselsüchtige, für Aussätzige, und ist dem heiligen Georg gewidmet.«
    »Oh!« Taleke machte einen Satz rückwärts und wollte auf und davon laufen.
    »Halt, junge Frau«, rief der Mönch gebieterisch. »Ich will mit dir reden. Der Herr auch.«
    Zögernd kehrte Taleke zurück. Vor dem Mönch hatte sie weniger Angst als vor dem Herrn. Der Herr war ihr unbegreiflich. Man wusste nie, was er als Nächstes tun würde. Er strafte, ohne dass man erfuhr, warum. Ihre Mutter hatte er mit einem elenden Leben gestraft, vermutlich, weil sie Männern gegenüber nicht zur Gefügigkeit neigte. Und das ließ auch der himmlische Herr keiner Frau durchgehen.
    »Du hast also Hunger und bist gesund. Kannst du dir deinen Lebensunterhalt nicht mit Arbeit verdienen?«
    »Ich habe mein ganzes Leben gearbeitet.« Taleke sah ihn trotzig an. »Aber jetzt gerade bin ich auf dem Weg nach Lübeck und habe nichts mehr zu essen. Mein Beutel ist leer«,
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