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Die Heilerin von Lübeck

Die Heilerin von Lübeck

Titel: Die Heilerin von Lübeck
Autoren: Kari Köster-Lösche
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Gauklerin. »Wenn er das hört! Er hat es nicht nötig, er sucht sich abends eine Taverne. Er verwaltet die wenigen Pfennige, die wir verdienen.«
    Wenn »Er« das hört! Taleke warf den Kopf zurück und lachte schallend. Ein Gott der Gaukler, der abends allein speisen ging! Über einen solchen Kerl hätte ihre Mutter sich tagelang aufgeregt, und sie selber fand es komisch, wie der Trupp diese Behandlung hinnahm.
    Plötzlich stand Lutgerd vor ihr, die Hände in den Seiten. »Was gibt’s zu lachen, Weib?«
    »Eure lächerliche Angst vor Gänsen«, antwortete Taleke freimütig. »An Eurer Nase spazieren die Braten vorbei, und Ihr hungert freiwillig.«
    Ohne Antwort zu geben, bückte Lutgerd sich und schlug Taleke mehrmals mit dem Handrücken hart auf beide Wangen. Ihr Kopf flog von einer Seite zur anderen. »Du kannst auch Prügel beziehen, wenn dir danach ist«, fügte er hinzu. »Dies war nur eine Kostprobe.«
     
    Taleke fasste sich blitzschnell, trotz ihrer Verblüffung. So einer war er also, ein Schläger, wie einige von den feigsten Knechten auf Gut Schönrade. Statt sich dareinzufinden, würde sie diesem Lutgerd zeigen, dass er in Wirklichkeit ein Schwächling war. Sie sprang auf und lief auf leisen Sohlen der Gänseherde nach, die im Gras außer Sicht war. Die kleine, dumme Gans war immer noch ein Stückchen von ihrer Herde entfernt, als Taleke sie einholte.
    Sie lockte das Tier mit den zärtlichen Worten herbei, die viele Jahre lang Wirkung in ihrer eigenen Herde gezeigt hatten. Die Gans drehte sich um und watschelte auf sie zu, ihrerseits freundliche Laute ausstoßend. Taleke tat es leid um sie. Sie beabsichtigte jedoch nicht, Lutgerds Hohn unbeantwortet zu lassen.
    Kaum an ihrem Platz angekommen, schnitt sie dem Tier, das die ganze Zeit keinen Abwehrlaut von sich gegeben hatte, den Hals durch und ließ das Blut in eine Erdkuhle abtropfen, die sie anschließend sorgfältig zuschüttete. Stumm sammelten sich die Gaukler um sie, mit Ausnahme von Lutgerd. »Hast du einen Sack oder einen Balg?«, fragte Taleke Belia knapp. Kaum lag der Ziegenbalg zu ihren Füßen, rupfte sie die Gans in einer Geschwindigkeit, die ihresgleichen suchte, stopfte die Federn ohne einen einzigen Verlust in den Balg, drehte ihn zu und reichte der Gauklerin die Gans. »Kannst du sie ausnehmen, oder soll ich das machen?«, fragte sie.
    Belia, immer noch überwältigt, schüttelte stumm den Kopf.
    Mit gewohnter Routine nahm Taleke die Gans aus, dann ging sie, um zum Braten passende Kräuter zu suchen. Ihre Achtung vor den Fähigkeiten dieser Gaukler hatte mittlerweile stark abgenommen. Offenbar benötigten sie Städte oder Burgen, in denen für ihre Fertigkeiten mit Münzen bezahlt wurde. Das Leben in freier Natur war nicht das ihre, obwohl dort vom Frühjahr bis zum Herbst keiner wirkliche Not leiden musste.
    Nachdem sie eine gehörige Portion Bärlauchblätter im Unterholz gefunden hatte und Brennnesseln, die manche rotes Feuer nannten, sowie Löwenzahn und jungen Giersch, kehrte sie zurück zum Lagerfeuer. Die Gans briet am Spieß, während Taleke Blätter und Stiele des Gemüses voneinander trennte. Der Vogel verströmte einen herrlichen Duft, während das Fett in das Feuer tropfte, wo es zischend verbrannte.
    »Warum verschwendest du das Fett? Ich brauche es«, bemerkte Taleke entrüstet und zeigte Belia, wie sie es aufzufangen hatte.
    Als die Gans gar war, ließ Taleke die Kräuter kurz im Wasser sieden, dann abtropfen und schmorte sie anschließend im Gänseschmalz.
    Es wurde eine ganz köstliche Mahlzeit, aber Freude kam trotzdem nicht auf. Vielmehr spürte Taleke Misstrauen, das sich gegen sie richtete. Lutgerd ging an diesem Abend nicht fort. Er suchte vielmehr Talekes Nähe, was ihr unangenehm war, und das hatte nichts mit Belias wachsendem Missmut zu tun. Taleke mochte ihn einfach nicht. Sie trug ihr Bündel an einen anderen Platz, den sie von Ästen säuberte, und bettete dann ihren Kopf auf ihre wenigen Habseligkeiten.
    Sie blieb unruhig und fand keinen Schlaf. Erst als sie Lutgerds Stöhnen und Belias Keuchen hörte, dann das Stoßen, das von schmatzenden Geräuschen begleitet war, wusste sie, dass er sie in dieser Nacht nicht mehr behelligen würde. Wie ein Stößel im Butterfass, dachte sie hämisch. Ein feiger Stößel … Unter Kichern schlief sie ein.
     
    Die Gänseknochen waren bei der abendlichen Mahlzeit bis aufs Letzte abgenagt worden, die Hirse war schon vor Tagen aufgebraucht, wie man Taleke erzählte, und
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