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Die Heilerin des Sultans

Die Heilerin des Sultans

Titel: Die Heilerin des Sultans
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Durcheinander
der unterschiedlichsten Gefühle, schlang Falk den Arm um die
Schultern seiner Gemahlin und betrat das Haus, von dem er geglaubt
hatte, es niemals wiederzusehen.

Epilog
     
    Samarkand,
Frühjahr 1403
     
    Mit ruhiger
Hand zog Olivera die schwarze Linie nach, die ihren Augen Tiefe
verlieh. Durch die senfgelben Vorhänge fiel warmes Licht in das
kostbar eingerichtete Gemach, das sie seit Bayezids Tod bewohnte.
Wenn Timur sein Versprechen hielt, durfte sie heute den Palast
verlassen, der seit fast einem Jahr ihr Gefängnis war. Ein
Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie daran
zurückdachte, wie Bayezid sich vor wenigen Wochen den Kopf an
den Gitterstäben seines Käfigs eingeschlagen hatte. »Wenn
du tust, was ich von dir verlange«, hatte Timur Lenk ihr
zugesichert, nachdem er sie und die anderen Frauen aus Bursa entführt
hatte, »dann erfülle ich dir einen Wunsch.« Olivera
senkte die Rechte und tauschte den Kohlestift gegen eine
juwelenbesetzte Haarnadel aus. Diese befestigte sie in den blonden
Locken und betrachtete sich mit ausdrucksloser Miene. Bis auf den
harten Zug um ihren Mund hatte sie ihre alte Schönheit
wiedergewonnen, die selbst den halb blinden Timur nicht unbeeindruckt
gelassen hatte. »Hilf mir, Bayezid zu demütigen«,
hatte der Tatar von ihr verlangt und ihr erklärt, wie sie das
bewerkstelligen konnte. Und so hatte sie ihn und seine Gäste
jeden Abend nur mit einem hauchdünnen, durchsichtigen Schleier
bekleidet bewirtet – während Bayezid dabei zugesehen
hatte, wie die Tataren sie mit Blicken verschlangen. Dass sein Feind
ihn als Fußbank benutzte, um in den Sattel seines Pferdes zu
gelangen, hatte Bayezids Willen nicht brechen können. Wohl aber
die Tatsache, dass seine Gemahlin ihre Reize den Augen anderer Männer
zur Schau stellte. Sie legte die Fingerspitzen an die Augenwinkel,
zog ihre Haut glatt und verzog den Mund, da der Effekt nicht der
erwünschte war. Zuerst hatte er Flüche und Verwünschungen
gebrüllt, sie eine Hure, eine Ifritin – eine Hexe –
genannt. Dann hatte er angefangen, Nahrung und Wasser zu verweigern
und sich schließlich so lange den Kopf an den Gitterstäben
blutig geschlagen, bis er tot zusammengebrochen war. Sie sandte ein
kurzes Dankgebet zum Himmel. Gott hatte ihre Gebete erhört, und
sie würde nie mehr an ihm zweifeln. Da Timur sie gut behandelte
und es ihr inzwischen egal war, in welchem Harem sie
eingesperrt war, blickte sie der Ankunft der Gesandten ihres Bruders
mit gemischten Gefühlen entgegen. Sobald sie ihre Aufgabe
erfüllt hatte, hatte Timur ihr dieses Gemach und vier Zofen zur
Verfügung gestellt und Boten nach Serbien geschickt. »In
einigen Wochen wirst du dich auf dem Weg in deine Heimat befinden«,
hatte er sie wissen lassen. Heimat! Olivera seufzte. Hoffentlich war
es das noch. Seit Bayezids Niederlage war ihr Bruder kein Vasall der
Osmanen mehr, und sie war froh, dass er sich bei der Schlacht um
Ankara hatte retten können. Aber würde er ihre Anwesenheit
nicht eher als Last empfinden? Sie erhob sich und trat ans Fenster,
um sich mit dem kunterbunten Treiben im Hof abzulenken. Die nächsten
Wochen würden zeigen, was das Schicksal für sie
bereithielt. Es würde ihr wohl nichts anderes übrig
bleiben, als abzuwarten.

    *******

    Konstantinopel,
Frühjahr 1403
     
    Der Sturm,
der über der Stadt aufzog, spiegelte Johannes Palaiologos’
Gefühle wider. Mürrisch schlug er den Kragen seines Mantels
hoch, um sich vor dem kalten Wind zu schützen, und stapfte den
Hügel hinauf. Oben angekommen duckte er sich unter den tief
hängenden Ästen eines Baumes hindurch und betrat die
winzige, unscheinbare Kirche. Dort schlug er ein Kreuz vor dem Altar
und sank auf die Knie, um zu beten. Lange Zeit verharrte er auf dem
kalten Stein, starrte auf den goldenen Heiligenschein des gemalten
Märtyrers, dessen Knochen hier aufbewahrt wurden, und haderte
mit seinem Schicksal. Was hatte er falsch gemacht?, fragte er sich
bitter. Und hätte es etwas genutzt, wenn er die Dinge anders
angegangen wäre? Seit Kaiser Manuels Rückkehr spielte er
wieder die zweite Geige in Konstantinopel – war nichts anderes
als ein weiterer Höfling. Kaum hatte die Kunde von Timur Lenks
Sieg Europa erreicht, hatte sich sein Onkel auf den Rückweg
gemacht, um den Thron wieder für sich zu beanspruchen. Johannes
verlagerte das Gewicht von einem Knie auf das andere und betastete
den wollenen Rosenkranz. »Herr Jesus Christus, Sohn Gottes,
habe Erbarmen mit mir
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