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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme
Autoren: Cantz Kerstin
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um nicht mehr auszugleiten auf dem Schnee. Am Tag würden Kinder ihre Freude an ihnen haben und sie über das Eis schießen lassen wie zwei große Segler.
    Weit vor Frieder erreichte Konrad das Friedhofstor und schlüpfte hindurch. Allein, dass er hinter den verschneiten Ligustern verschwand, wieder hervorsprang, die Zähne bleckte und lautlos lachte – es ließ seinen ungelenken Bruder näher kommen. Frieders Herz zog sich zusammen, schmerzhaft, dass es ihn mit der Angst bekannt machte und vorantrieb. An einer der Birken endlich, die Konrad mit ihren hängenden Zweigen, mit ihren eisigen, langen Fingern streiften, ihm den Hut vom Kopf rissen, als wollten auch sie ihn aufhalten, da endlich konnte Frieder ihm einen Stoß versetzen und kam an ihm vorbei.
    Er lief weiter, immer weiter auf sie zu, während sie blieb, wo sie war, so als wartete sie auf ihn. Als Frieder die Frau ansah, die Farben trug wie die heilige Elisabeth, Blau und Rot, wenn auch irgendwie anders – als Frieder ihre Tränen sah, die in einem Lächeln wie Sterne schwammen, war er für einen kurzen Moment sehr glücklich. Kaum wagte er zu hoffen, dass es einmal nicht sein würde wie immer, dass es kein Zurückweichen gab vor ihm, als es auch schon geschah. Er streckte seine riesengroßen Hände aus nach ihr, wollte sie halten, doch sie fiel.
    Mit einem flüchtigen Knacken brach ihr Genick an der marmornen Kante einer Grabplatte, so schnell und so leise, dass kein menschliches Ohr es vernehmen konnte, außer ihr eigenes vielleicht, als eine letzte, befreiende Botschaft. Es ließ sie einer Liebe folgen, die keine war, und sollte es jemandem gefallen, es trotzdem so zu erzählen, dann ging sie das nichts mehr an.
    Durch das Rauschen in Frieders Kopf kroch die Stimme seines Bruders, die ihm immer wieder sagte, dass er sie umgebracht hatte. Zu früh, Spaßverderber. Er schlug ihn weg wie eine Fliege. Konrad durfte sie nicht anfassen. Er durfte gar nichts mit ihr machen. Frieder hob sie auf, so behutsam, so sanft es ihm möglich war. Sie lag auf seinen Armen, als sollte es so sein, und sonst wusste er nichts. Er lief einfach und trug sie durch den Schnee, der plötzlich wieder vom Himmel fiel. Fort von den Gräbern, zurück durch die Gasse, wo Konrad schon am Karren war.
    Frieder bemerkte nicht, dass Konrad ihn dirigierte, dass er den Karren nutzte, um ihn auf den Weg zu bringen, den sie immer gingen, wenn sie in der Stadt waren. Er blickte der Frau ins Gesicht, die friedlich in seiner Armbeuge ruhte, deren Haar sich aus einem dicken Knoten gelöst hatte, die bei ihm war und vielleicht doch nur schlief. Dass seine schweren Schritte ihren Haarschleier so weich hin und her wehen ließ, hin und her mit jedem Schritt, holte ein Summen aus seinem großen Herzen, wie es sogar die heilige Elisabeth noch nie zu hören gekriegt hatte.
    Das Haus, zu dem sie immer gingen, wenn sie in der Stadt waren, an dem Frieder nur die hohen Säulen mochte, zwischen denen eine Freitreppe zu einem Eingang führte, den sie nie benutzten – das Anatomische Theater hatten sie schon so gut wie hinter sich, als Konrad nicht mehr wollte, dass Frieder weiterging.
    Konrad wollte, dass er stehen blieb. Er konnte nicht wissen, dass Frieder nicht mehr machen würde, was er sagte, dass es ihm nichts mehr bedeutete, seinem Bruder nützlich zu sein. Deshalb, weil er es nicht glauben konnte, rannte Konrad vor ihm her, Haken schlagend wie ein Hase, und immer sagte er, Frieder sollte sie hergeben, nicht für lange, sie müssten das Weib waschen, einmal untertauchen nur, und dabei kniete Konrad schon auf einem der schmalen Bretterstege, die über die Ketzerbach führten. Frieder sah das Messer aufblitzen, mit dem er auf das Eis einhackte, und er sah es weiter in Konrads erhobener Hand, wie der ihn ansprang, und er gar nichts spürte, weil er die Frau festhalten musste.
    Frieder ging in die Knie, als das Blut aus seinem Hals schoss. Er legte die Frau ab, die leicht war wie eine Feder, ganz vorsichtig. Er durfte nicht über sie fallen – neben sie -, das wäre schön. Wenn er sie noch ein wenig anschauen dürfte.

    Es geschah in einem, dass Gesa die Augen aufschlug und heftiges Herzklopfen einsetzte. Von der Glut des Herdfeuers floss wieder ein rötlicher Schimmer in die Küche. Bald, vielleicht in einer Stunde, wenn es endlich hell wurde draußen, würde sie auf die Suche gehen.

    Pauli nahm immer zwei Stufen zugleich. Im Haus Am Grün ging es drunter und drüber. Neben allem, was Arbeit machte,
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