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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme
Autoren: Cantz Kerstin
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Hebammen-Katechismus vorgelegt, warum der Professor sie herumgescheucht und bis zur völligen Erschöpfung hatte arbeiten lassen. Sie verstand, warum er von ihr verlangte, die Schülerinnen bei den Hausarbeiten anzuleiten und ihnen die Pflichten zuzuteilen, warum er wollte, dass sie bei jeder Geburt an seiner Seite war. Ihr leuchtete ein, weshalb er sie für zuständig erklärte, die Speisepläne aus den kargen Mitteln zu erstellen und ihm vorzulegen. Er hatte ihr die Schlüssel für das Auditorium übergeben, sie für die Reinlichkeit im Hause verantwortlich gemacht, für den Bestand der Wäsche, die Erträge der Spinnstube, die an die Webereien abzugeben waren.
    Dass Kilian ihr all das aufgebürdet hatte, war schon eine Prüfung gewesen. Zur fortgeschrittenen Stunde des gestrigen Abends hatte er sie in sein Studierzimmer rufen lassen, in den kleinen Raum neben dem Auditorium, wo sich die Lieblingsstücke seiner Sammlung befanden. Dann hatte er sie in Kenntnis gesetzt.
    Clemens hatte nichts dergleichen getan.
    Auf dem Bett lag nun nur noch das Wenige, das sie besaß, und was sie noch nicht gewagt hatte, erneut in ein Bündel zu schnüren. Gesa ging zum Tisch, schob den Stuhl darunter, bis die Lehne seine Kante berührte. Die Seiten des Hebammen-Katechismus liefen durch ihre Finger, während die Schrift vor ihren Augen verschwamm. Ihr wurde kalt, als es klopfte.
    »Deine Prüfung wird gleich beginnen, Gesa …«, hörte sie Clemens sagen.
    »Ich weiß es seit gestern«, sagte sie zu den Eisblumen am Fenster. Wie gut, dass er nicht näher kam. »Seit wann weißt du es?«
    »Auch nicht länger, glaub mir.«
    Wo warst du dann, wollte sie fragen und tat es wieder nicht. Sie wollte, dass er ging, am besten, ohne dass sie ihn ansehen musste.
    »Kilian hat es mir beim Nachtessen mitgeteilt, zu dem er mich gebeten hatte«, sagte er. Nun schien er doch in die Kammer zu treten; die Tür ächzte in ihren Angeln, doch er schloss sie wohl nicht.
    »So also.«
    »Ja, und ich will dir etwas sagen, bevor …«
    »Was? Nachdem du lange nichts gesagt hast zu mir.«
    »Es gibt so etwas wie ein Abkommen zwischen uns, glaube ich …«, sagte er. So sanft, dass es wie eine Lüge klang.
    »Zwischen uns gibt es, glaube ich, gar nichts.«
    Es tat ihr weh, als er schwieg, doch noch immer konnte sie sich nicht umdrehen zu ihm.
    »Was willst du mir also erzählen«, sagte sie, »nach den vielen Tagen, die nun vergangen sind, ohne dass du etwas gesagt hast? Vielleicht etwas über die Gottschalkin? Ihr Befinden? Deinen Besuch bei ihr?«
    »Nein, nichts über sie.«
    Wie ruhig er war.
    »Nein?«, sagte sie. »Ach, weißt du, das musst du auch nicht. Ich gehe nämlich zu ihr, sobald ich …«
    »Sobald du die Prüfung bestanden hast.«
    »Ja. Ich werde zur Gottschalkin gehen und mit ihr sein. Das ist es, was ich will, zuallererst.«
    »Vielleicht solltest du dich zunächst vergewissern, ob auch die Gottschalkin das will. Nach dem, was ich von ihr weiß, habe ich meine Zweifel daran.« Sie hörte nur die Kälte in seiner Stimme, und jetzt wollte sie ihn ansehen, diesen großen, todernsten Menschen.
    »Was du von ihr weißt?«, flüsterte Gesa. »Weißt du denn etwas anderes von ihr als ich?«
    »Gesa, es geht doch nicht um sie. Ich …«
    »Doch. Mir geht es um sie.«
    »Du musst noch etwas wissen, bevor du in diese Prüfung gehst. Kilian will …«
    »Nein, Doktor Heuser. Sie müssen mir nicht sagen, was gut für mich ist. Leider haben Sie das immer noch gar nicht verstanden. Und ich, hören Sie, ich verstehe Elgin Gottschalk dafür umso besser. Warum sie für ihr Leben so entschieden hat.«
    »Das heißt also, du wirst nach Wien gehen?«
    Sie konnte den Sinn seiner Frage nicht fassen, doch sie sah, dass er noch blasser geworden war.
    »Wien«, sagte sie. »Warum nicht?«

    Ohne zu zögern hatte sie bislang alle Fragen beantwortet, vor dem Professor und den fremden Männern, die er ihr als Mitglieder des Collegium medicum bekannt gemacht hatte, deren Gesichter sie ebenso wenig sah wie das seine, Doktor Heusers, der seitlich im Auditorium Platz genommen hatte. Vor ihren Augen gab es nur eine Reihe von schemenhaften Gestalten, aus deren dunklen Röcken zuweilen ein helles Halstuch aufblitzte oder ein Hüsteln aufstieg.
    Die anderen Schülerinnen befanden sich bei den Frauen. Man hörte sie nicht. Gesa fragte sich, ob jemals etwas durch die Flügeltüren des Auditoriums nach innen gedrungen war. Sie erinnerte sich nicht.
    Auf Kilians Rücken spreizten
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