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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme
Autoren: Cantz Kerstin
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strafen, und es stand zu vermuten, dass er sehr genau wusste, wie wenig er damit noch ausrichten konnte.
    So wurde es Abend, mondhell, bis sie ging und Pauli sie vor die Tür des Hauses in der Hofstatt brachte mit seinem Licht, das er trug. Und sobald Marthe die Tür aufriss, rannte er ohne einen Abschied davon.
     
    »Ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal froh sein würde, dich im Haus zu haben«, sagte die alte Magd, während Gesa ihr in die Küche folgte. Von der Glut des Herdfeuers kam ein rötlicher Schimmer, der Marthe umgab, als sie das Feuer anfachte.
    »Du siehst verfroren aus«, sagte sie in das Knacken der Holzscheite hinein. »Willst du Suppe?«
    »Ich will …«
    »Du willst zu ihr.«
    »Ja.«
    Marthe richtete sich auf. Sie sog die Luft ein, als bereitete es ihr Mühe oder Schmerzen.
    »Sie ist nicht da«, sagte sie. »Sie ist nicht zurückgekommen. Sie war nicht abzubringen davon, noch mal nach der Frau zu sehen, die sie im Armenviertel entbunden hat. Ausgerechnet da. Wo sie sich den Tod holen kann. Ausgerechnet heute. Wo sie doch schon morgen reist.«
    »Sie reist?«
    »Ja, morgen schon.«
    »Nach Wien«, sagte Gesa.
    »Ja, nach Wien. Der Fuhrknecht hat das Gepäck zur Station abgeholt heute. Das war mir gar nicht recht, ohne sie. Es ist mir nicht recht ohne sie.« Wieder rang die alte Magd nach Luft in einer Weise, die ihren gedrungenen Körper durchbebte und ihre Hände sich in der Schürze winden ließen.
    »Beruhige dich«, sagte Gesa und bemerkte, wie wenig überzeugend sie klang. Marthe jedenfalls griff das Öllicht vom Tisch und packte sie am Handgelenk.
    »Komm mit«, sagte sie. »Ich will dir was zeigen. Alles beunruhigt mich. Alles, seit ich weiß, dass sie geht.«
    Die Magd zerrte sie mit sich nach oben. Das Bett wartete mit seinen aufgeschlagenen Decken und den geglätteten Kissen ebenso wie der bewegungslose Musselin an den grauen Fenstern. Elgins Zimmer war ein verlassener, warmer Ort. Nahezu alles war mit ihr verschwunden. Bis auf die Tasche.
    »Sie hat sie nicht mitgenommen«, flüsterte Marthe. Sie hielt das Licht hoch wie eine Fackel. »Was hat das zu bedeuten?«
    »Nichts«, sagte Gesa. »Das muss es nicht. Es bedeutet, dass sie wiederkommt.« Die Tasche thronte auf dem Tisch, Ehrfurcht gebietend und fremd. Doch wenn man die Augen ein wenig zusammenkniff, kam ein feines Strahlen von den Messingschließen. Neben sich fühlte sie Marthes Furcht. Rasch, als wollte sie eine Ansteckung verhindern, ging Gesa hinüber zum Fenster. Mit einem Ruck zog sie die weißen Stoffbahnen auseinander, als könnte so, jetzt auf der Stelle, ein hoffnungsvoller neuer Tag beginnen.
    »Was sollen wir nur tun?«, fragte Marthe tonlos.
    »Wir warten.« Gesa sah durch die kalten Scheiben hinaus. »Wir warten auf sie, solange es Nacht ist.«
    Marthe kam neben sie und schob ihre Hände auf das Fensterbrett, knorrig, mit einer Haut, die aussah wie sehr dünnes Papier. Die vielleicht weich waren, wenn man sie berührte.
    »Schau nur. Der Mond«, sagte sie.

    Wenn sein Bruder nicht stehen geblieben wäre auf dem Weg, wenn er nicht zwischen den dicht stehenden Häusern den Hang hinaufgestarrt hätte, dann hätte Frieder sie gar nie gesehen. Nur weil der Mond über der Stadt hing und mit seinem verwirrenden Licht auf alles hinunterschien – auf die kleine Kapelle, den Friedhof – die Frau.
    Frieder konnte auch sehen, was Konrad für Augen machte, und er kannte seinen Bruder gut genug, um zu wissen, warum er sich in Bewegung setzte, geduckt, wie es Frieder vorkam, ganz flink. Der Schatten seines Bruders streifte schon die Häuserwände, als Frieder den Handgriff des Karrens fallen ließ. Konrad drehte sich um nach ihm, er legte die Hände auf die Schenkel, er lief ein paar Schritte rückwärts und grinste. Konrad hatte Spaß – jetzt schon. Konrad hatte immer Spaß an Sachen, die ihn in Unruhe versetzten. Frieder hob seinen Kopf zum Hang.
    Sie hatte so eine Biegsamkeit, etwas weich Fließendes in den dunklen Konturen ihres Gewands. Frieder sah das, obwohl sie sich gar nicht bewegte. Es war eng zwischen den Häusern, er konnte sich mit seinen Händen an ihnen abstoßen, um besser vorwärts zu kommen, aber es reichte nicht. Es reichte nicht, um vor ihm bei der Frau zu sein, die oben zwischen den Gräbern stand.
    Konrad sprang unter dem Vollmond davon wie ein Wiesel. Wie schwer es doch für Frieder war, seinen Körper in einer notwendigen Hast zu beugen, damit er sich die Holzschuhe von den Füßen reißen konnte,
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