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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme
Autoren: Cantz Kerstin
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Apothekerin anbetrafen, zu bestärken.
    Für ihre Freundin Therese indessen zeigte sich ein deutlicher Hoffnungsschimmer in der Gestalt Daniel Collmanns – das Engagement des jungen Anwalts war Malvine nicht verborgen geblieben. So musste man es – bei allem, was Therese erlitten hatte – doch wohl als Vorteil betrachten, dass Lambert die Ehe mit ihr nicht vollzogen hatte und es somit keine sehnsuchtsvollen Erinnerungen gab. Sobald die Zeit reif war – und da Malvine sich im Besitz eines gesunden Instinkts wähnte, meinte sie, dass dies nicht mehr lange dauern konnte -, würde sie die Freundin auf den Weg in eine neue Zukunft geleiten. Idealerweise war dafür der Mai ins Visier zu nehmen.
    Im Frühjahr also würde sie Therese raten, die Leidenschaftstauglichkeit des jungen Collmann mit mindestens einigen Küssen zu prüfen. Sie würde dafür ihren Garten, der jetzt dort unten im Winterschlaf lag, für das eine oder andere Rendezvous zur Verfügung stellen, sobald die erste Rosenblüte ihren Effekt machte.
    Malvine strich über die Fenstervorhänge, als suchte sie etwas in den samtenen Falten. Nebenan hörte sie Stühlerücken, Geräusper.
    Die Herren gingen wohl.
    Wenn all dies zu dem führen sollte, was Malvine schon jetzt für sicher hielt, dann musste es möglich sein, die Gottschalkin zur Geburt ihres vierten Kindes, mit dem im Juli zu rechnen war, wieder bei sich haben. Nicht im Entferntesten wollte sie daran denken, eine Fremde an ihr Geburtsbett zu lassen, etwa eine der Amtshebammen, wie andere es schon taten, seit das Unfassliche über die Gottschalkin und Lambert Fessler ans Licht gekommen war. Dieses Licht, so grell es durch den ungeheuerlichen Eklat auf sie getroffen war, hatte ihr die Gottschalkin menschlicher gemacht. Niemals, das gestand Malvine sich in diesem Augenblick ein, als eine plötzliche Traurigkeit ihr die Kehle zuschnürte, niemals hatte sie darüber nachgedacht, dass es im Leben der Hebamme eine Sehnsucht geben könnte.
    Sie öffnete die Verbindungstür. Homberg saß allein am Tisch, mit dem Rücken zu ihr. Sie trat hinter ihn, berührte seine Schulter. Sie nahm sein Glas und trank davon.
    »Warum«, sagte er, »kann sie sich nicht einfach fügen?«
    »Weil es nicht ihre Art ist.«
    »Dann muss es eben ihre Art werden, wie die anderer Frauen auch.«
    »Ach, Homberg«, sie setzte das Glas ab und streichelte seine Schläfen. »Die Sache mit dem Sichfügen macht doch nur dann einen Sinn, wenn man es zuvor unterlässt, nicht wahr?«
    »Malvine, meine Liebe«, sagte er, »manchmal solltest du besser schweigen.« Doch er sagte es zärtlich. Es ermutigte sie in dem Gedanken, dass nur ein wenig Zeit verstreichen müsste, bis sie die Gottschalkin aufsuchen und sie ihrer Verbundenheit versichern würde.
    Dann galt es, im Sinne der reinen Vernunft vorzugehen.

    Mit einigen letzten, langen Stichen schloss Marthe die Naht des Leintuchs, in das sie die Kleider eingenäht hatte. Sie folgten den anderen Dingen in den Koffer, der am Fußende des Bettes auf dem Boden stand. Die alte Magd hatte das wuchtige Behältnis zunächst mit einem alten, weißen Laken ausgeschlagen, damit kein hervorstehender Nagel etwas beschädigen konnte, dann mit Schuhen, Schachteln und Kästchen den unteren Teil des Koffers gefüllt, dem sie jetzt den Kleidersack hinzufügte, einmal gefaltet und sorgsam geglättet. Alles musste fest gepackt sein, damit nichts verrutschte und umherflog, wenn das sperrige Gepäckstück verladen und keinesfalls mit der nötigen Sorgfalt behandelt werden würde. Das Schlimmste an allem für Marthe war, dass sie nicht mitreisen durfte, dass sie nicht dabei sein konnte, um auf die Herrin zu achten und auf ihr Gepäck.
    Die Gottschalkin dagegen verhielt sich fast heiter, seit sie den Brief aus Wien erhalten hatte, ja aufgekratzt in einer Weise, die einem schon unheimlich sein musste. So war sie auch heute aus dem Haus gegangen, seit langem wieder, als man sie zu einer schweren Geburt ins Armenviertel geholt hatte.
    Marthe aber schlief schlecht vor Angst, wenn sie sich vorstellte, was der Herrin allein auf der Reise blühen konnte. Wenn sie beengt sitzen musste, geschüttelt und umhergeworfen in den Ausdünstungen einer ungewaschenen Gesellschaft, umgeben von Tabakdämpfen und zotigen Reden. Langsames Fortkommen mit schlafenden Postkutschern. Oder zu übereiltes – dann konnten Achsen brechen, die Wagen umkippen auf schlechten Wegen, vor allem jetzt, bei Schnee und Eis. Man erzählte sich von üblen
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