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Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number

Titel: Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number
Autoren: John Verdon
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seinen Befürchtungen, dass es ihn vor allem Mühe kosten würde, nicht einzuschlafen, entpuppte sich Sonya Reynolds, eine Galeristin und regional bekannte Künstlerin, als echte Attraktion.
Sie war keine konventionelle Schönheit nach nordeuropäischem Muster wie etwa Catherine Deneuve. Dafür war ihr Mund zu voll, die Wangenknochen zu markant, die Nase zu stark. Doch große, rauchig grüne Augen und ein völlig entspanntes und auf natürliche Weise sinnliches Auftreten schafften es irgendwie, die unvollkommenen Teile zu einem äußerst eindrucksvollen Ganzen zusammenzufügen. Von den sechsundzwanzig Kursteilnehmern waren nur sechs Männer, deren Aufmerksamkeit ihr jedoch ganz und gar gehörte.
    Die zweite Überraschung war seine positive Reaktion auf die Thematik. Aufgrund ihrer persönlichen Interessen beschäftigte sich Sonya sehr ausführlich mit Kunstformen, die von Fotografien ausgingen und diese bearbeiteten, um Bilder zu schaffen, die die Originale an Ausdruckskraft übertrafen.
    Die letzte Überraschung offenbarte sich bei der dritten Veranstaltung des zwölfwöchigen Kurses, als sie ihre Begeisterung über einen zeitgenössischen Künstler kundtat, der seine Siebdrucke mithilfe solarisierter Fotoporträts produzierte. Während Gurney die Drucke betrachtete, hatte er einen Einfall. Er konnte sich einer sehr ungewöhnlichen Quelle bedienen, zu der er einen in jeder Hinsicht besonderen Zugang hatte. Die Vorstellung war merkwürdig aufregend. Und das Letzte, was er sich von einem Kunstkurs erwartet hatte, war Aufregung.
    Diese Idee - Fotos von Verbrechern und vor allem Mördern so aufzupolieren, zu präzisieren und zu verstärken, dass sie exakt den Charakter des Wilds zum Ausdruck brachten, auf das er sein ganzes Berufsleben lang mit List und Tücke Jagd gemacht hatte - fasste in ihm Fuß, und er dachte öfter darüber nach, als er es ohne Verlegenheit hätte zugeben können. Schließlich war er ein vorsichtiger
Mensch, der beide Seiten jeder Frage, den Fehler jeder Überzeugung und die Naivität in jeder Begeisterung erkennen konnte.
     
    Als Gurney an diesem strahlenden Oktobervormittag am Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer saß, riss ihn plötzlich ein Geräusch aus der angenehm fordernden Beschäftigung mit dem Foto von Jason Strunk. Hinter ihm war etwas auf den Boden gefallen.
    »Die stell ich dir da hin.« Für jeden anderen hätte Madeleine Gurneys Stimme wohl beiläufig geklungen, doch ihr Mann hörte sofort die Anspannung darin.
    Er blickte über die Schulter und kniff die Augen zusammen, als er die zwei Jutesäcke an der Tür bemerkte. »Was stellst du mir hin?« Doch eigentlich kannte er die Antwort schon.
    »Tulpen.« Madeleines Ton blieb beherrscht.
    »Du meinst Tulpenzwiebeln?«
    Eine alberne Korrektur, wie sie beide wussten. Auf diese Weise brachte er seine Gereiztheit darüber zum Ausdruck, dass Madeleine etwas von ihm wollte, wozu er keine Lust hatte.
    »Was soll ich denn hier drinnen mit ihnen?«
    »Sie raus in den Garten bringen und mir beim Einsetzen helfen.«
    Er spielte mit dem Gedanken, sie darauf aufmerksam zu machen, dass es nicht besonders logisch war, etwas hier hereinzuschleppen, damit er es wieder hinaus in den Garten schleppte, überlegte es sich aber anders.
    »Sobald ich hier fertig bin«, antwortete er leicht verstimmt. Eigentlich war es nicht unbedingt eine lästige Pflicht, an einem herrlichen Spätsommertag in einem hoch über einer weiten Landschaft aus herbstlich roten
Wäldern und smaragdgrünen Wiesen gelegenen Garten Tulpenzwiebeln zu pflanzen. Er hasste es einfach nur, unterbrochen zu werden. Und diese Reaktion auf Unterbrechungen, so sagte er sich, war ein Nebenprodukt seiner größten Stärke: der lineare, logische Verstand, der ihm bei seiner Polizeiarbeit zu großen Erfolgen verholfen hatte - ein Verstand, dem nicht die leiseste Ungereimtheit in der Geschichte eines Verdächtigen entging und der selbst haarfeine Lücken wahrnahm.
    Madeleine spähte auf den Monitor. »Wie kannst du an einem Tag wie heute so was Hässliches machen?«

2
    Ein vollkommenes Opfer
    David und Madeleine Gurney lebten in einem robusten Farmhaus aus dem neunzehnten Jahrhundert, das sich in die Ecke einer abgelegenen Wiese am Ende einer Sackgasse in den Delaware Hills acht Kilometer außerhalb des Ortes Walnut Crossing schmiegte. Die vier Hektar große Wiese war umgeben von Kirsch-, Ahorn- und Eichenwäldern.
    Das Haus hatte seine ursprüngliche architektonische Schlichtheit bewahrt. In
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