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Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number

Titel: Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Verdon
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Bedrängnis zu vermitteln.
    Selbst das P.S. war genau berechnet. Neben der unterschwelligen Behauptung, dass ihn das Rätsel überfordern könnte, nahm es Gurney auch die Möglichkeit, sich darauf zu berufen, dass er kein Privatdetektiv war und Mellery wahrscheinlich nicht helfen konnte. Es war so formuliert, dass jedes Zögern wie die grobe Zurückweisung eines alten Freundes erscheinen musste.
    O ja. Wirklich sorgfältig komponiert.
    Sorgfalt. Das war etwas Neues. Eindeutig keine Eigenschaft, mit der sich der alte Mark Mellery hervorgetan hatte.
    Diesen Wandel fand Gurney interessant.
    Wie aufs Stichwort trat Madeleine durch die Hintertür und legte ungefähr zwei Drittel der Strecke bis zu Gurney zurück.
    »Dein Gast ist hier«, verkündete sie mit flacher Stimme.
    »Wo ist er?«
    »Im Haus.«
    Er bemerkte eine Ameise, die im Zickzackkurs über die Stuhllehne krabbelte. Ungeduldig schnippte er sie mit dem Fingernagel weg.

    »Bitte ihn doch heraus. Das Wetter ist zu schön für drinnen.«
    »Nicht wahr?« Ihre Bemerkung klang zugleich bitter und ironisch. »Übrigens sieht er genauso aus wie sein Bild auf dem Buchumschlag - sogar noch mehr.«
    »Sogar noch mehr? Was soll das heißen?«
    Sie war schon auf dem Weg zurück zum Haus und blieb ihm die Antwort schuldig.

4
    Ich kenne dich so gut, dass ich weiß, was du denkst
    Mit langen Schritten eilte Mark Mellery durchs Gras. Er näherte sich Gurney, als wollte er ihn umarmen, entschied sich jedoch im letzten Moment dagegen.
    »Davey!« Er streckte ihm die Hand entgegen.
    Davey?, fragte sich Gurney verwundert.
    »Mein Gott!«, sprudelte es aus Mellery heraus. »Du bist noch immer der Gleiche! Was freue ich mich, dich zu treffen! Einfach großartig schaust du aus! Davey Gurney! An der Fordham University haben sie gesagt, du siehst aus wie Robert Redford in Die Unbestechlichen. Und das stimmt noch immer - du hast dich überhaupt nicht verändert! Wenn ich nicht wüsste, dass du siebenundvierzig bist wie ich, würde ich sagen, du bist dreißig!«
    Mit beiden Händen ergriff er Gurneys Rechte, als wäre sie ein kostbarer Gegenstand. »Auf der Herfahrt von Peony nach Walnut Crossing ist mir wieder eingefallen, wie ruhig und beherrscht du immer warst. Eine Gefühlsoase, ja genau, das warst du! Eine Gefühlsoase. Und diese Ausstrahlung hast du immer noch. Davey Gurney - ruhig, beherrscht, besonnen - und scharfsinnig wie kein Zweiter. Wie ist es dir die ganze Zeit ergangen?«
    »Ich hatte Glück.« Gurney befreite seine Hand. Sein emotionsloser Ton stand in krassem Gegensatz zu Mellerys Überschwang. »Kann mich nicht beklagen.«

    »Glück …« Mellery sprach die Silben aus, als müsste er sich an die Bedeutung eines Fremdworts erinnern. »Schönes Haus habt ihr hier. Wirklich schön.«
    »Madeleine hat ein gutes Auge für solche Dinge. Wollen wir uns setzen?« Gurney deutete auf zwei verwitterte Deckstühle, die sich zwischen einem Apfelbaum und einer Vogeltränke gegenüberstanden.
    Mellery setzte sich in Bewegung und zögerte dann. »Ich hatte doch …«
    »Suchen Sie das hier?« Madeleine kam mit einer eleganten Aktentasche auf sie zu. Sie wirkte dezent und teuer und entsprach damit genau Mellerys sonstigem Erscheinungsbild - von den handgefertigten (aber gut eingetragenen und nicht übermäßig polierten) englischen Schuhen bis zu dem maßgeschneiderten (aber sanft verknitterten) Sportjackett. Alles an ihm bekundete, dass hier ein Mann stand, der Geld zu benutzen wusste, ohne ihm ausgeliefert zu sein, ein Mann, der Erfolg hatte, ohne ihn sklavisch zu verehren, ein Mann, dem das Glück auf ganz natürliche Weise zufiel. Der gehetzte Ausdruck um seine Augen sprach allerdings eine völlig andere Sprache.
    »Ah, vielen Dank.« Sichtlich erleichtert nahm Mellery die Aktentasche entgegen. »Aber wo …?«
    »Sie haben sie auf den Wohnzimmertisch gelegt.«
    »Ja, natürlich. Ich bin heute etwas zerstreut. Nochmals danke!«
    »Möchten Sie vielleicht was zu trinken?«
    »Zu trinken?«
    »Wir haben fertigen Eistee. Oder wäre Ihnen etwas anderes lieber?«
    »Nein, nein. Eistee ist wunderbar. Danke.«
    Als Gurney seinen früheren Studienfreund musterte, begriff er plötzlich, was Madeleine gemeint hatte mit ihrer
Äußerung, dass Mellery genauso aussah wie sein Bild auf dem Buchumschlag und sogar noch mehr.
    Das Auffallendste an dem Foto war eine Aura von beiläufiger Vollkommenheit: die Illusion eines Zufallsschnappschusses - ohne die unvorteilhaften Schatten und die

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