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Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number

Titel: Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number
Autoren: John Verdon
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Ich glaube, Dein Rat könnte mir in dieser Sache sehr nützlich sein. Daher würde ich Dir gern einen kurzen Besuch abstatten. Wenn Du eine halbe Stunde für mich erübrigen könntest, komme ich in Dein Haus in Walnut Crossing - oder gern auch an jeden anderen Ort, den Du mir nennst.
    Die Erinnerungen an unsere Unterhaltungen im Campuszentrum und die noch längeren in der Shamrock Bar - ganz zu schweigen von Deiner großen beruflichen Erfahrung - sagen mir, dass Du der Richtige bist, um diese verwirrende Sache zu besprechen. Es ist ein merkwürdiges Rätsel, das Dich durchaus interessieren
könnte. Dein unnachahmliches Vermögen, zwei und zwei zusammenzuzählen, war schon immer Deine große Stärke. Immer wenn ich an Dich denke, fallen mir Deine untrügliche Logik und Deine Klarheit ein - Fähigkeiten, die ich im Augenblick dringend nötig habe. Ich rufe Dich in den nächsten Tagen unter der Nummer im Alumni-Verzeichnis an, in der Hoffnung, dass sie noch aktuell ist.
     
    Mit vielen schönen Erinnerungen,
Mark Mellery
     
    P.S. Selbst wenn Dich mein Problem genauso vor ein Rätsel stellt wie mich und Du mir keinen Rat geben kannst, wird es mir ein Vergnügen sein, Dich zu treffen.
    Der versprochene Anruf kam zwei Tage später. Gurney erkannte die Stimme sofort wieder, die bis auf ein deutliches Beben der Unruhe erstaunlich unverändert war.
    Nach ein paar selbstironischen Bemerkungen darüber, dass er sich so lange nicht gemeldet hatte, kam Mellery zur Sache. Konnte er Gurney in den nächsten Tagen sehen? Je eher, desto besser, weil die »Angelegenheit« dringend war. Eine weitere »Entwicklung« hatte sich ergeben. Aber das ließ sich unmöglich am Telefon besprechen, wie Gurney gleich verstehen würde, sobald sie sich trafen. Mellery musste ihm ein paar Dinge zeigen. Nein, die Polizei wollte er nicht verständigen, aus Gründen, die er ihm erklären würde. Nein, es war auch keine strafrechtliche Angelegenheit. Es war kein Verbrechen begangen und auch keines angedroht worden, zumindest nicht so, dass er es beweisen konnte. Verdammt, so konnte er einfach nicht darüber reden, unter vier Augen war es viel leichter.
Ja, natürlich war ihm klar, dass Gurney nicht als Privatermittler arbeitete. Aber eine halbe Stunde konnte er doch sicher für ihn erübrigen.
    Mit den gleichen gemischten Gefühlen, die ihn von Beginn an beschlichen hatten, willigte Gurney ein. Oft setzte sich seine Neugier gegen seine Reserviertheit durch; in diesem Fall interessierte ihn der Unterton von Hysterie, der in Mellerys schmeichelnder Stimme lauerte. Und natürlich musste er auch zugeben, dass ihn die Aussicht auf ein noch ungelöstes Rätsel fast magisch anzog.
     
    Nachdem er die Mail ein drittes Mal wieder gelesen hatte, legte Gurney sie zurück in die Mappe und ließ seine Gedanken ziellos durch die tief vergrabenen Erinnerungen wandern, die sie geweckt hatte: ein verkaterter und gelangweilter Mellery in den Vormittagskursen, sein allmähliches Inschwungkommen am Nachmittag, die wilden, von Alkohol befeuerten Ausbrüche irischer Intelligenz und Schlagfertigkeit in den frühen Morgenstunden. Er war von Natur aus ein Schauspieler und der unumstrittene Star der Theatergruppe am College. War sein Auftreten in der Shamrock Bar schon voller Elan, so erwachte er auf der Bühne richtig zum Leben. Er war ein Mann, der von seinem Publikum abhing und erst im nährenden Licht der Bewunderung zu voller Form auflief.
    Gurney schlug die Mappe auf, um noch einmal einen Blick auf die E-Mail zu werfen. Mellerys Beschreibung ihrer Beziehung machte ihm Sorgen. Der Kontakt zwischen ihnen war nie so häufig, bedeutsam und freundlich gewesen, wie es die Mitteilung seines ehemaligen Kommilitonen vermuten ließ. Dennoch hatte er den Eindruck, dass Mellery seine Worte sorgfältig gewählt hatte. Dass die Nachricht trotz ihrer scheinbaren Schlichtheit immer
wieder erwogen und abgeändert worden war und dass die Schmeicheleien wie alles andere in dem Brief beabsichtigt waren. Aber was war die Absicht? Zunächst einmal natürlich, dass Gurney sich bereit erklärte, sich unter vier Augen mit ihm zu unterhalten und an der Lösung eines nicht näher bezeichneten Rätsels mitzuwirken. Alles andere ließ sich nur schwer einschätzen. Das Problem lag Mellery offensichtlich sehr am Herzen, und das erklärte vielleicht auch, warum er so viel Zeit und Mühe aufgewendet hatte, um die Sätze rund und flüssig hinzubekommen und eine genau abgestimmte Mischung aus Wärme und
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