Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Hand die damals meine hielt - Roman

Titel: Die Hand die damals meine hielt - Roman
Autoren: Maggie O Farrell
Vom Netzwerk:
inzwischen eingehend betrachtet, ihm die Mütze abgenommen, seine Haare bestaunt und das überraschend dunkle Blau seiner Augen, ihm einen Finger in die Hand gelegt, bis er sie darum schloss - schläft Ted, den Kopf auf seinen Arm gebettet. Sie weiß genau, dass sie nicht wieder einschlafen kann. Wie denn auch, wo ihr doch so kalt ist und alles wehtut, wo sie doch anscheinend ein Kind bekommen hat? Vorsichtig schiebt sie sich ganz nah an Ted heran und lässt sich von seiner Wärme umströmen. Elina steckt den Kopf unter die Bettdecke, ins Dunkle und Warme. Sie wird nicht wieder einschlafen.
    Aber offenbar muss es dann doch passiert sein, denn als sie, nur Minuten später, wie es ihr scheint, wieder zu sich kommt, ist es im Schlafzimmer so gleißend hell, dass sie sich die Hand vors Gesicht halten muss, und Ted ist angezogen und sagt, dass er losmüsse, und er gibt ihr einen Abschiedskuss.
    »Wo gehst du hin?«, f ragt sie und richtet sich mühsam auf dem Ellenbogen auf.
    Seine Miene verdüstert sich. »Arbeiten«, sagt er. »Es ging nicht anders«, sagt er. »Tut mir leid«, sagt er. »Der Film«, sagt er. »Wir sind in Verzug«, sagt er. »Ich nehme mir frei, wenn wir mit dem Dreh fertig sind«, sagt er. »Wenn’s klappt«, sagt er.
    Anschließend geraten sie kurz aneinander, weil Ted seine
Mutter anrufen will, damit sie helfen kommt. Elina sagt nein, schüttelt den Kopf. Er sagt, sie dürfe nicht allein sein. Sie solle ihn wenigstens ihre Freundin Suki anrufen lassen. Aber ihr graut davor, jemanden im Haus zu haben. Elina hat keine Ahnung, wie sie mit diesen Leuten reden, was sie sagen sollte. »Nein«, sagt sie, nein und noch mal nein.
    Offenbar geht sie als Siegerin aus dem Streit hervor, denn Ted kratzt sich am Kopf, nestelt an seiner Tasche und gibt ihr einen Abschiedskuss. Er poltert die Treppe hinunter, die Haustür knallt zu, und es wird still im Haus.
    Alles in ihr sehnt sich danach, wieder im Schlaf des Vergessens zu versinken, sich ins Kopfkissen zu schmiegen, ihre Augenlider zufallen zu lassen. Sie kann den Schlaf schon fühlen, so nah ist er ihr. Aber neben ihr schnauft und rumort es, ein leises Hecheln wie von einem Tier.
    Sie lugt über die Bettkante, und es ist immer noch da. Das Kind. » Hei« , sagt Elina, zu ihrer eigenen Überraschung auf Finnisch.
    Der Kleine antwortet nicht. Er ist ganz mit seinem Kampf gegen einen unsichtbaren Gegner beschäftigt: Er fuchtelt mit den Ärmchen, gibt kurze, unwirsche Knurrlaute von sich. Und dann stößt er auf einmal einen Schrei aus, so plötzlich, als ob jemand einen Hebel umgelegt hätte. Einen langen, lauten, gequälten Schrei.
    Wie von einer Ohrfeige getroffen, zuckt Elina zurück. Aber sie weiß, dass sie aufstehen muss. Sie muss sich mit dem Problem befassen. Sie und niemand sonst. Das ist ihre Aufgabe. Das Kind holt tief Luft und brüllt wieder los. Sie bückt sich, gekrümmt vor Schmerzen, und hebt ihn aus dem Körbchen. Sie drückt den vor Zorn starren kleinen Körper an sich. Was er wohl hat? Sie versucht sich an die Tipps aus den Elternratgebern zu erinnern, doch ihr fällt keiner ein.
Sie trägt ihn zum Fenster und wieder zurück. »Na, na«, sagt sie. »Ist ja gut.«
    Aber er schreit weiter, macht einen Katzenbuckel, sein Gesicht nichts als Mund, seine Haut bläulich rosa.
    »Ist ja gut«, sagt sie noch einmal, und dann sieht sie, dass er den Kopf verdreht und den Mund weit aufreißt, wie ein Kraulschwimmer, der das Gesicht zum Atmen aus dem Wasser schiebt. Hunger. Das bedeutet, dass er Hunger hat - natürlich. Wieso ist sie nicht selbst darauf gekommen?
    Sie schafft es gerade noch bis zum Sessel, so zittrig ist es ihr auf einmal in den Beinen. Nachdem sie ihr T-Shirt hochgezogen hat, muss sie kurz innehalten, um sich erst mal an die rätselhaften Zeichnungen über das Stillen zu erinnern. Das Anlegen. Der richtige Griff. Die häufigsten Stillprobleme. Doch sie hätte sich keine Sorgen machen müssen. Der Kleine scheint genau zu wissen, wie es geht. Er macht sich über ihre Brust her wie ein Hund über einen Knochen und fängt an zu trinken, gierig erst, dann etwas gemächlicher, dann wieder gierig. Elina starrt auf ihn hinunter, sprachlos vor Staunen über seine Ruhe, sein Geschick. Es kommt ihr so vor, als ob sie unerklärlich lange so dasitzen. Ist das normal? Eine halbe Stunde, eine Dreiviertelstunde, über eine Stunde? Draußen verstreicht der Vormittag: Leute gehen die Straße hinauf zum Park, Leute gehen die Straße hinunter zur
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher