Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Hand die damals meine hielt - Roman

Titel: Die Hand die damals meine hielt - Roman
Autoren: Maggie O Farrell
Vom Netzwerk:
Bushaltestelle. Die Sonnensprenkel kriechen über den Teppich auf Elinas Füße zu, und das Kind trinkt immer noch.
    Elina muss wohl im Sessel eingeschlafen sein, denn auf einmal sitzt sie mit dem ganzen Körper in der Sonne. Das Kind liegt auf ihrem Schoß, wie eine Katze, und diesmal starrt es ihre Armbanduhr an.
    Sie versucht sich zu erinnern, durchforstet ihr Gedächtnis.
Ist ihr im Schlaf irgendetwas wieder eingefallen? Die Geburt, die Geburt, die Geburt, sagt sie sich vor, du musst dich erinnern, du musst. Aber es geht nicht. Sie kann sich an die Schwangerschaft erinnern. Sie kann das Kind sehen, das auf ihrem Schoß liegt. Aber wie es dort hingekommen ist, bleibt ein Rätsel.
    Sie rubbelt sich mit beiden Händen das Gesicht, um wach zu werden. »So«, sagt sie in die Stille hinein, und ihre Stimme zittert leicht. Warum ist das Haus so leise, wie jemand, der auf eine Antwort wartet? »Das wäre geschafft.« Sie merkt, dass sie wieder Finnisch spricht. »Und was wollen wir jetzt machen?«, fragt sie, als ob das Kind ein Gast wäre, den sie kaum kennt.
    Sie steht auf, langsam, ganz langsam, das Kind fest im Arm, und schleppt sich Schritt für Schritt die Treppe hinunter, den Blick unverwandt auf den Kleinen geheftet. Ihren Sohn. Den sie geboren hat. Das weiß sie, weil Ted es gesagt hat, und weil das Kind einen bestimmten Zug um die Stirn hat, einen Haarwirbel, der sie an ihren Vater erinnert. Auf dem Weg nach unten kommt sie an der offen stehenden Badezimmertür vorbei. Auf dem Fußboden liegt eine Wickelunterlage mit roten Streifen, und sie erinnert sich daran, sie erinnert sich tatsächlich, dass sie die Unterlage gekauft hat. Ihr fällt wieder ein, wie hässlich sie die Muster der Babysachen fand - neckische Teddybären, vermenschlichte Fische mit anzüglichem Grinsen, Enten mit langen Wimpern und schwarz umrandeten Augen. Rings um die Unterlage liegen Windeln, eine Packung Feuchttücher, ein Oktopus aus Stoff, ein Töpfchen Salbe. Wer hat die Sachen hierhergelegt? War sie das? Und wann?
    Am Fuß der Treppe steht ein Kinderwagen, und auch an den erinnert sie sich. Sie haben ihn von ihrem Freund Simmy
geschenkt bekommen. Eines Abends stand er damit vor der Tür. Das war vorher. Als sie noch schwanger war. Es ist ein seltsames Gefährt, mit silbernen Rädern, einem marineblauen Klappverdeck, einer schicken, glänzenden Bremse. Darin Laken und eine Decke. Unschlüssig bleibt sie davor stehen. Dann bettet sie den Kleinen hinein, um zu sehen, was passiert. Er liegt so selbstverständlich da, als ob er es nicht anders kennt. Er strampelt. Blickt zum Verdeck hoch, blickt an ihr vorbei, blickt auf die Niete, mit der das Verdeck am Wagen befestigt ist. Er schließt die Augen und schläft ein. Elina bleibt noch eine Weile bei ihm und sieht ihm beim Schlafen zu. Dann geht sie in die Küche.
    Irgendwie steht sie auf einmal vor der Tür, die in den Garten führt. Eine Doppeltür, zwei große Scheiben aus Verbundglas. Damit man nicht so leicht einbrechen kann, hat Ted gesagt, als sie wissen wollte, warum das Glas so dick, so stabil ist. Sie hält einen Becher in der Hand, eine zusammengefaltete Zeitung. Als sie sich bückt, um die Sachen auf dem Fußboden zu deponieren, durchfährt sie ein Schmerz, der ihr den Atem verschlägt, und sie lässt den Becher und die Zeitung fallen. Sie hält sich am Türrahmen fest, lehnt die Stirn an das Glas, presst eine Hand auf ihren Unterleib. Sie flucht in den unterschiedlichsten Sprachen und kann gar nicht mehr aufhören damit.
    Als sie die Augen wieder aufmacht, ist alles wie vorher. Hinter ihr die Küche. Vor ihr der Garten. Es ist ganz einfach, sagt sie sich. Du warst schwanger, und jetzt hast du ein Kind. Aber wieso kann sie sich an die Geburt nicht erinnern?
    Am Ende des Gartens steht ein Holzhäuschen, mit nur einem Zimmer. Elinas Atelier, das Ted ihr gebaut hat. Beziehungsweise das er von zwei Polen für sie hat bauen lassen.
Es besteht aus Eschenholz, Teerpappe, Glaswolle, Edelstahl - sie hat die Männer nach den Baumaterialien gefragt, und sie mussten die Begriffe erst in einem polnisch-englischen Wörterbuch nachschlagen, bevor Elina im Kopf nach den finnischen Ausdrücken suchen konnte. Darüber hatten sie alle lachen müssen. Einer von ihnen wollte von ihr wissen, ob sie Finnland vermisse, und sie hatte nein gesagt und dann, doch, manchmal schon. Aber sie lebe schon lange nicht mehr dort. Ob sie Polen vermissten, hat Elina zurückgefragt. Sie nickten stumm. Wir gehen wieder
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher