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Die Hand die damals meine hielt - Roman

Titel: Die Hand die damals meine hielt - Roman
Autoren: Maggie O Farrell
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die Geschichte von der Autopanne gehört, da hat sie den Mann auch schon mit einer Wegbeschreibung zur nächsten Werkstatt weitergeschickt.
Er dreht sich noch einmal um, hebt die Hand und winkt.
    Während sich seine Schritte in Richtung Dorf entfernen, überkommt Alexandra ein Gefühl, das an Rage grenzt - oder an bittere Verzweiflung. Einem Menschen wie ihm so nahe zu sein und ihn dann gleich wieder zu verlieren! Sie tritt gegen den Baumstumpf, gegen das Rad des Kinderwagens. Es ist eine besondere Art von Zorn, wie ihn nur junge Menschen kennen, das erstickende, bedrückende Gefühl, von den Älteren ausmanövriert zu werden.
    »Was denkst du dir eigentlich?«, faucht Dorothy, während sie den Wagen schaukelt, um das quäkende und strampelnde Kind wieder zu beruhigen. »Ich komme aus dem Haus, und was muss ich sehen? Dass du über die Hecke mit einem - einem Zigeuner flirtest. Am helllichten Tag! In aller Öffentlichkeit. Hast du jedes Gefühl für Sitte und Anstand verloren? Was bist du nur für ein Vorbild für deine Geschwister?«
    »Apropos Geschwister.« Alexandra legt eine Kunstpause ein. »Oder soll ich lieber sagen Geschwister schar? Wie ist denn so was mit Sitte und Anstand vereinbar?« Sie lässt ihre Mutter stehen. Sie hält es keine Sekunde länger mit ihr aus.
    Dorothy lässt den Kinderwagengriff los und starrt mit offenem Mund hinter ihr her. »Was soll das heißen?«, schreit sie. In diesem Augenblick sind ihr sogar die Nachbarn egal. »Was unterstehst du dich? Was fällt dir ein, so mit mir zu reden? Das sage ich deinem Vater, verlass dich darauf. Sobald er …«
    »Sag es ihm ruhig. Tu dir keinen Zwang an!«, schleudert Alexandra über ihre Schulter gewandt zurück, während sie durch den Garten läuft und unter lautem Gepolter ins Haus
stürmt, vorbei an einer erschrockenen Patientin ihres Vaters, die im Flur wartet.
    Noch im Kinderzimmer, das sie sich mit drei jüngeren Geschwistern teilen muss, kann sie die kreischende Stimme ihrer Mutter hören: »Bin ich denn die Einzige in diesem Haus, die weiß, was sich gehört? Du kannst dich doch nicht einfach so davonstehlen. Du solltest mir heute helfen. Du solltest auf das Baby aufpassen. Das Silber muss geputzt werden, und das Porzellan. Was meinst du, wer das jetzt erledigt? Die Heinzelmännchen?«

E lina schreckt aus dem Schlaf. Sie begreift nicht, warum es dunkel ist, warum ihr das Herz in der Brust flattert. Sie scheint zu stehen, an einer erstaunlich weichen Wand zu lehnen. Es kommt ihr so vor, als seien ihre Füße sehr weit unter ihr. Ihr Mund ist trocken, die Zunge klebt ihr am Gaumen. Sie hat keinerlei Erinnerung daran, warum sie hier im Dunkeln steht, dösend an eine Wand gelehnt. Ihr Kopf ist so leer wie ein weißer Bogen Papier. Sie dreht den Kopf, und mit einem jähen Ruck kippt alles um die eigene Achse. Auf einmal sieht sie das Fenster und neben sich Ted, und sie sieht, dass sie überhaupt nicht steht. Sie liegt. Auf dem Rücken, die Hände auf der Brust verschränkt, eine Frau aus Stein auf einem Sarkophag.
    Das Zimmer ist von Atemgeräuschen erfüllt. Irgendwo im Haus ächzt eine Wasserleitung. Auf den Dachpfannen über ihr kratzt es leise wie von Vogelkrallen.
    Es muss das Kind in ihr gewesen sein, das sie mit einer Bewegung geweckt hat, mit einem Recken und Strecken, mit einem Tritt oder einem Schlag von innen gegen den Bauch. Das kommt in letzter Zeit häufig vor.
    Elina dreht den Kopf hin und her und blickt sich in dem dunklen Zimmer um. Die Möbel, die sich schwarz in die Ecken ducken, das Rollo vor dem Fenster, das im selben schmutzigen Orange leuchtet wie die Laternen auf der Straßen.
Neben ihr Ted, unter der Bettdecke zusammengerollt. Auf seinem Nachttisch türmen sich Bücher, sein Handy leuchtet grün im Dämmerlicht. Auf ihrem Nachttisch ein Stapel, der wie ein Haufen überdimensionaler Taschentücher aussieht.
    Und da ist noch ein Geräusch, irgendwo neben ihrem Kopf, ein scharfes, jähes Häch-häch wie ein Räuspern.
    Als sie sich zu Ted umdrehen will, durchzuckt sie ein sengender Schmerz, als ob ihr Bauch aufreißt, als ob jemand einen Schneidbrenner dagegenhält. Sie schnappt nach Luft und will sich zur Beruhigung an den prallen Babybauch fassen. Aber ihre Hände finden nichts. Sie greifen ins Leere. Kein Babybauch mehr. Kein Baby. Nur schlaffe, lose Haut.
    Elina rappelt sich zum Sitzen hoch - wieder der brennende Schmerz -, sie stößt einen seltsam heiseren Schrei aus und packt Ted bei der Schulter. »Ted«, sagt
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